Hat dies auf Performer Transformer Wordformer rebloggt und kommentierte: Literaturplätzchen auf der Murinsel... ich war dabei
Zeit aus den Fugen
Geschrieben im November 2010, heute Morgen in G7, dem Grazer Stadtmagazin der Kleinen Zeitung, und auch heute Abend noch aktuell:
ZEIT AUS DEN FUGEN
Für Christian
Wer in die Stadt seiner Jugend zurückkehrt, reist immer auch durch die Zeit. Es ist wie in einer jener Filmszenen: Der (Anti-)Held, den man verkörpert, schaut oben aus dem Hotelfenster – und sieht sich selbst unten die Straße entlang stolpern: so viele Jahre jünger, so viele Erfahrungen ärmer, unterwegs im Labyrinth seiner Vergangenheit.
Wie verschlungen deren Wege auch gewesen sein mögen – diesem längst enteilt geglaubten Passanten heftet man sich gern an die Fersen. Zumindest mir ergeht es so. Wann immer ich nach Graz komme, folge ich freudig meinen alten Spuren – gegen den Strom (und oft leider auch gegen die Zeichen…) der Zeit.
„Schau, dort habe ich Zivildienst gemacht!“, rufe ich etwa meiner Frau zu, während wir durch die Münzgrabenstraße fahren. Sie seufzt, denn sie hat das schon 57 Mal gehört – hört es jedes Mal, wenn sie mit mir in Graz ist. Und dass ich, beidhändig deutend, das Auto fast in den Gegenverkehr lenke, kann ihre Begeisterung für meine autobiographische Schnitzeljagd auch nicht steigern…
Schon wahr: oft verstellt mir der „Nostalgiequatsch“, wie Element Of Crime so schön singen, den Blick auf das Graz der Gegenwart. Da dieses aber zweifellos auch viel zu bieten hat, begab ich mich jüngst, begleitet von einem lieben „alten“ Freund, auf Expedition. Ausgestattet mit einem ganzen Abend Freizeit (welch Luxus für uns Familienväter!), machten wir uns auf, den nostalgischen Schleier über unserem Stadtbild zu lüften – und uns als das zu präsentieren, was wir doch immer noch sind: radikal heutig, kompromisslos zeitgenössisch, Wellenreiter auf der Schaumkrone des ewig flüchtigen Jetzt!
Das erste Lokal, das uns (von früher) bestens vertraut war, bestätigte unsere Selbstwahrnehmung. An der Theke saßen (alte) Bekannte, auch den Kellner kannten wir (von früher), und dass uns selbst die Anekdoten, die er zum Besten gab, bekannt vorkamen, ließ unsere Vermutung, dass sich (seit damals) nichts, oder zumindest nicht viel, geändert hatte, fast Gewissheit werden.
Umso härter trifft uns der Lokalwechsel um Mitternacht. Ist die gewählte Kneipe „damals“, als wir noch studiert haben, von Gleichaltrigen frequentiert worden, so wimmelt es jetzt dort vor Halbwüchsigen. Selbst die Kellnerin ist noch ein Kind – kaum zu glauben, dass sie schon Vorlesungen besucht. Und doch: „Grüß Gott“, schmettert sie meinem Freund, der an der Uni lehrt, entgegen, ,,HERR PROFESSOR!!!“
An diesem Punkt des Abends gerät irgendetwas (die Zeit?) aus den Fugen. Es ist wie in einer jener Filmszenen: Die gesetzten „HERREN“, als die wir entlarvt worden sind, ergreifen umgehend die Flucht – werden jedoch von ihren jüngeren Doppelgängern, die eben hereinstolpern, zurückgehalten – ins Getümmel gezerrt – und auf Bier eingeladen…
Schnitt.
„Der gemeinsame Abend“, schrieb mir mein Freund am Tag danach, „war sehr gelungen. So alt und zugleich so jung, das ist schon etwas, worauf man stolz sein kann!“ – Ja, lieber Christian, das finde ich auch. Manches wird eben erst mit dem Alter zur Leistung. Und selbst wenn es, wie diesmal, Kopfschmerzen verursacht – die Gegenwart ist immer eine Zeitreise wert.
P.P.S.
Rätsel der Literatur:
Wer weiß, wie der Autor des Romans „Zeit aus den Fugen“ heißt, dessen Titel ich für meinen Artikel gezuguttenbergt habe?
Die erste richtige Antwort* gewinnt das Buch** aus meiner überquellenden Privatbibliothek!
* Googeln gilt nicht!
** Einmal gelesen, ohne Eselsohren und Klopapier-Lesezeichen, Neupreis: € 10,30.
beschlagwortgott unterweger!
Liebe Andrea,
leider die falsche Antwort. Aber du hast noch einen Versuch – unter den zahlreichen Einsendungen war die richtige Antwort noch nicht dabei!
mein freund würde sagen: clemens jodokus setz, aber ich höre glücklicherweise nicht mal theoretisch auf ihn. die richtige antwort lautet selbstverständlich und unzweifelhaft philipp k. dick! mit einem oder zwei p! andrea *zuvieledelmuttutkeinemgut* stift
Liebe Andrea,
freut mich, Dir mitteilen zu dürfen, dass Du unter den ca. 486 Einsendungen als einzige die richtige Antwort gefunden hast! (Die anderen tippten alle auf Darth Vader …).
Wenn Du jetzt auch noch weißt, von wem Philip Kodokus Dick seinerseits den Titel gezuguttenbergt hast, gewinnst Du auch noch die Versandkosten!
Antwortmöglichkeiten:
a) Gott (Bibel)
b) Shakespeare (Hamlet)
c) Dante (Göttliche Komödie)
Viel Erfolg!
Andreas
P.S. Wenn jemand anderer die richtige Antwort wissen sollte, kann er/sie sich gerne beteiligen. Buch gibt es zwar keines mehr zu gewinnen, aber, wie gesagt, die Versandkosten.
lieber andreas, ich habe „unser kleines versandkostenproblem“, wie ich es gerne und liebevoll nenne, auf facebook ausgelagert. watch your stats 🙂
das buch habe ich zufälligerweise im englischen original und da heißt es: time out of joint. habe ich vor vielen jahren während meines schüleraustausches in good old england gekauft. der titel ist in unserer freizeit auch des öfteren verballhornt worden (und war ein kaufgrund) – quasi „time for a joint“. nichtsdestotrotz ist die antwort a) good old Shakespeare. lieber andreas, jetzt gibt es keine ausreden mehr, andrea das buch nicht zu schicken. 😉
Liebe Andrea, lieber Marcus,
Shakespeare/Hamlet ist richtig, gewonnen! Andrea bekommt das Buch in den nächsten Tagen, die Versandkosten für Marcus schicke ich in ihrem Packerl mit.
Ich nehme an, dass Hr. Dick ähnliche Assoziationen hatte wie Deine Freunde und Du Marcus – das lässt u. a. eine Stelle in „Eine andere Welt“ („Flow My Tears, the Policeman Said“) vermuten, wo mit einem Bibelzitat so verfahren wird: „Alles Fleisch ist wie Gras. […] Wahrscheinlich wie der allerübelste Stoff.“
In diesem Sinne: Mahlzeit – und einen schönen Abend!
Andreas
lieber andreas,
das habe ich aber missverstanden – ich dachte, ich hätte die versandkosten für andrea gewonnen. egal, geschenkt. wenn es aber etwas sein muss, dann hätte ich lieber ein autogramm: eine signierte droschl-postkarte oder so.
ein paar worte zu deinem kleinen buch mit ganz großem inhalt werd ich hoffentlich auch bald zusammenformuliert haben. leider dauert das bei mir immer ein wenig.
bis dahin: alles gute und liebe grüße!
marcus