Hat dies auf Performer Transformer Wordformer rebloggt und kommentierte: Literaturplätzchen auf der Murinsel... ich war dabei
Sodom und Gomorra
Gestern in G7, der Sonntagsbeilage der Kleinen Zeitung in Graz:
SODOM UND GOMORRA
Die einzige WG, in der ich jemals gewohnt habe, war eine Utopie. Wobei der Ausdruck „Utopie“, also „Nicht-Ort“, irreführend ist. Schließlich gab es den Ort, die leerstehende Wohnung meiner Großeltern im Lendplatz-Hochhaus, ja tatsächlich – nur lebte darin eben nicht (NOCH nicht, wie ich damals dachte) jene Wohngemeinschaft, die die Welt verbessert hätte: mein Freund Tom Tom und ich.
Wir waren siebzehn Jahre alt. Morgen für Morgen schleppten wir uns zur Schule, um dort über imaginären Zahlen, toten Sprachen und anderen Scheinproblemen zu brüten. Das Leben war anderswo. Im Café Cäsaro etwa, wo wir in langen, von süßem Cider und starkem Tobak befeuerten Dialogen das Wesen des Glücks definierten – jenes WG-Glücks, das uns, wie wir hofften, schon bald („nach der Matura!“) erwarten würde.
Ich will hier nicht auf die Details unserer Vision eingehen – erstens sind es zu viele, zweitens kommt es darauf nicht an. Sagen wir einfach so: Wie alle (positiven) Utopisten seit Platon schafften auch wir jene Dinge ab, die uns auf die Nerven gingen, und erhoben die zum Gesetz, die Spaß machten, aber verboten waren. Freilich: Gegen das, was Tom Tom und mir vorschwebte, stank der platonische Ideal-Staat ab wie eine von da Vincis Flugmaschinen gegen Keith Richards´ Party-Jet.
Es versteht sich von selbst, dass die Verwirklichung unseres WG-topias letztlich verhindert wurde. Für eine so gute Idee wie diese wird die Welt (die immer eine von Eltern regierte sein wird) nie bereit sein. Was uns jedoch niemand nehmen konnte, war das Wissen, dass unser Traum in jenen Momenten, da wir ihn GEMEINSAM geträumt hatten, ohnehin bereits wahr geworden war …
Als wir uns (heimlich) den Schlüssel nachmachen ließen, z.B.: erst die Angst, von Mister Minit als Einbrecher entlarvt zu werden – dann: unsere diebische Freude … Oder, kurz darauf, die erste (inoffizielle) Wohnungsbesichtigung: Wir schlichen durch die Zimmer, flüsterten, machten nicht einmal Licht an – niemand war jemals so frei … Und natürlich – ein Jahr vor dem avisierten Bezugstermin (wann sonst?) – der Kauf des WG-Haustiers.
Ein Wellensittich sollte es sein – weil jemand erzählt hatte, dass er den seinen darauf dressiert habe, ihm Zigaretten zu bringen. Und da jemand anderes meinte, allein zu wohnen sei auch für ein Vogerl kein Glück, kauften wir – um unser ganzes Geld – zwei: ein quirliges, gelb-grün gezeichnetes Männchen und ein Albino-Weibchen, groß und stark. Es war Tom Tom, der ihnen ihre Namen gab – die coolsten Namen, zweifellos, die Wellensittiche jemals getragen haben (s. Titel).
Schon bald werden sie am Himmel unserer Künstler-WG fliegen, jeder eine Zigarette im Schnabel: eine für dich, eine für mich… Schon bald wirst du mein WG-Bruder sein, werden wir im gelobten Lend logieren, wird uns ganz Graz, diese verkappte Paradise City, where the grass is green and the girls are pretty, zu Füßen liegen …
Bis dahin aber bleiben die zwei Vögel noch bei den Eltern wohnen (meinen), zwitschern ein bisschen, fressen, dösen – und nur wenn sie, im Spiel, die Flügel öffnen, kommt Leben in ihren goldenen Käfig.
Für Thomas Mossböck (1977 – 2011)
[…] jeweils den Anfang jedes meiner Bücher, garniert mit ein paar literarischen Anekdoten betreffs Schulfreunden und Lehrerfreunden. Alles in allem also eine bewegende Zeitreise […]