Zwei Briefe (manuskripte 200)
Mein Beitrag zu Heft 200 (!!!) der manuskripte:
ZWEI BRIEFE
Ein Cover
Musik: Hugo von Hofmannsthal
(Brief an Richard Dehmel
[„Ich reite viele Stunden jeden Tag …“])
Text: Andreas Unterweger
Ich fahre sieben Stunden jede Nacht. Auf Bundesstraßen
& auf Autobahnen. Auf glattem hellem Asphalt &
auf schwarzem. Nassem der rauscht & Bodenwellen
wirft. Manchmal fahre ich auf den Vollmond zu. Die gelb
blinkende Ampel in den Wolken. Manchmal hinter
Scheibenbeschlag oder. Im Dunkel einer Panoramastraße
oder. Im Fluchtlicht eines vierspurigen Tunnels. Wo ich
die Reifenmarken raten kann. Der Bremsspuren unter
verkohlten Wänden. & zwei drei Scherben noch aufflammen
sehe. & auch mein Fiat flimmert jetzt! hier! weiß. Die
Seitenspiegel senden Lichtsignale. & selbst die matten
& verbeulten Felgen. Im Flutlicht dieses vierspurigen
Traums. Sehe ich plötzlich hyperreal klar … Manchmal
herrscht auch so spät noch viel Verkehr. In beiden Richtungen
Gestank & Lärm. Die Pisten dröhnen & die Luft. Zittert
rund um die Auspuffmündungen. Undeutlich wegen
des Scheibenbeschlags. Kann ich die Raser überholen
sehen. Matt kupferbraune oder silver frozen. Schatten
im Augenwinkel drängeln grell. Die Lichthupen
& penetranten Blinker. Die kleinsten Sternschnuppen
des Lampenclusters. Der sich vom All aus noch erkennen
lässt. Denn nur über dem Meer ist wirklich Nacht. Das
Blau in das man traumlos sinken könnte … Doch manchmal
fahre ich auch ganz allein. So still ich höre meinen Motor
klopfen. & Falter an die Windschutzscheibe klatschen. Da
auf der Schneestange sitzt eine Eule. & wird im Auffliegen
zur Nebelschwade. Zwischen den dürren Stämmen & ich
sehe. Ein weißes Reh über die Fahrbahn schweben. Ins hohe
Gras ins Reich der Glühwürmchen. Ich halte an lasse den Motor
rauschen. Steige dann aus & pinkle in die Böschung. Wo es nach
Flieder & nach Diesel riecht. Ich sehe meinen Strahl im Mondlicht
schillern. & spüre ihn schlafwarm zwischen den Fingern. & muss
zurück am Steuer immer noch … Dies muss ein Traum sein
weil sich hier nichts ändert. & nur ich selbst stets in Bewegung
bin. Ein Geisterfahrer jetzt! & schon vorbei. & alles andere
bleibt gleich die Straße. Die Raststationen & Gewerbeparks. Die
Neonplastikblumen längs der Straße. Der immerrote Coca
Cola-Mond. & die Mercedes-Sterne & die eine. Leitlinie nur
lebenslang entlang. Durch dieses tote Land in dem man
seinen. Schwarzen Kaffee mit Zucker zum Mitnehmen. In
Liesing in Paris & Hodonín. Zum Kreischen stets desselben
Werbejingles. Aus dem stets gleichen Automaten
gähnt … Ich träume dass ich noch nicht schlafen kann. &
diesen Brief lese von Hofmannsthal. An Dehmel
während ich beschleunige. Während mein Atem in die Fünfte
schaltet. & das Gedicht das ich beim Fahren schreibe. In zwei
drei Herzschlägen von null auf hundert. Nein neunhundert
R.E.M.s pro Minute. Hochschnellt der Shell-Mond die
McDonalds-Leier. Werden zu Strichen die die Nacht
durchstreichen. Während ich lese dass nichts wirklich
ist. Nichts wirklich als das öde Zeitverrinnen. & alles andere
wie nichts die Worte. Nichts das Denken nichts mit
einer Ausnahme. Nur im Gedicht da ists da ists es
ist. Schreibt Hofmannsthal in Brief an Richard
Dehmel. Rund sieben Jahre vor dem Chandos-Brief.
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