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„Sonst kann ich nix!“ (Gespräch über das Schreiben)
Nachtrag zum Termin:
14.09.2015, 20:00, Andreas Unterweger und “Das gelbe Buch” zu Gast in Barbara Belics “Das rote Mikro”, Radio Helsinki.
Aus Freude über die von Barbara Belic so schön gestaltete Sendung (gute Fragen!, gute Musik!, guter Schnitt! usw.) – ein Transkript ihres Interviews mit mir (hier nachzuhören):
„Sonst kann ich nix!“
Andreas Unterweger im Gespräch mit Barbara Belic
Ausschnitte aus der Radiosendung „Kindheitsutopie und ein doppeltes Reisebuch “
Sendungszeit: 14. September 2015, 20 Uhr
Sendereihe: Das rote Mikro: Literatur (Radio Helsinki)
Redakteurin: Barbara Belic
Transkript: Sarah Stadler
Musik: Bob Dylan „Time Out Of My Mind“ 1987, tr 2 Dirt Road Blues + „Blood On the Tracks“ 1974, tr 2 Simple Twist Of Fate + „Modern Times“ 2006, tr 7 Beyond the Horizon + „Tempest“ 2012, tr 3 Narrow Way
Barbara Belic:
Andreas Unterweger entwirft in seinem jüngsten Werk ein Land der Kindheit, wie es schöner kaum sein könnte: mit einer kleinen Bubenschar, deren Wortführer Biber, dem Großvater, dessen Freunden und Nachbarn, der Katze Mia, einem Garten mit hohen Bäumen, einem Fluss, in dem man baden kann, und sehr, sehr viel von der Farbe Gelb. Deswegen lautet der Titel auch „Das gelbe Buch“. Die idyllische Welt der kleinen Buben ist aber nur eine Ebene des Buches.
Andreas Unterweger:
Der Erstimpuls zu dem Buch kam schon 2007, ausgelöst durch einen neuen Ort. Ich bin damals nach Niederösterreich gezogen, in ein kleines Haus an einem Fluss in einer Aulandschaft, wo ich mit einer völlig neuen Fauna konfrontiert war, mit Bibern und Waschbären, Baummadern usw. Und die erste Idee, glaube ich, war, ein Kinderbuch zu schreiben mit einem Biber als Helden. Das blieb aber eine vage Idee. Ich hab dann mein erstes Buch fertiggeschrieben und nicht mehr drüber nachgedacht. Und dann in einer schlaflosen Nacht, 2008, wo so Geräusche auf dem Dachboden waren, ein Getrippel und Gekratze und Gescharre, kam dann der erste Text, das erste Kapitel, „Alter Waschbär“, nachzuhören in der Sendung von 2012. (lacht) Auf meiner Homepage kann man es noch runterladen.
Barbara Belic:
Warum hat das dann so lange gedauert, bis dieses Buch fertiggeworden ist? Du hast ja inzwischen andere veröffentlicht.
Andreas Unterweger:
Das Buch hätte das zweite Buch werden sollen. Wie gesagt, ich hab 2008 im Spätsommer damit begonnen und war 2008 im Sommer mit meinem ersten Buch fertig. Da kamen dann auch noch wichtige Lektüreerlebnisse dazu: Richard Brautigan, „In Wassermelonen Zucker“, wo auch eine Welt entworfen wird, die irgendwie außerhalb der unseren steht, ganz absurd zum Teil und wunderschön. Mir fast noch ein bisschen zu viel Plot, das wird ja noch unglaublich spannend im zweiten Teil. (lacht) Das ist gar nicht notwendig meines Erachtens. Ja, und da hat sich die Möglichkeit aufgetan, etwas ganz Eigenartiges zu schaffen, eine Welt zu schaffen durch Sprache, eine Welt, die nicht gedeckt ist durch Autobiographie, sondern gedeckt durch gewisse Impulse des Ortes usw. Also autobiographisch ist das auf keinen Fall. Eine extrahierte Märchenkulisse ist es, die ich mir da zusammengeschustert habe und an der ich eine Riesenfreude hatte. Weiteres Futter waren noch kybernetische Aufsätze, die ich damals gelesen habe. Ich habe zwar im Großen und Ganzen nichts verstanden davon, aber ich war von den Sätzen und von der Sprache fasziniert. (lacht) Da kamen viele Tautologien usw. in das Buch hinein, Heinz von Foerster und, wie heißt er, Herr [= Ernst] von Glasersfeld, Klassiker der Kybernetik. Ja und lang gedauert hatʼs dann … Es hat einfach seine Zeit gebraucht, es ist relativ dick, es sind viele Kapitel, ich weiß nicht, insgesamt 150 Kapitel oder mehr.
Barbara Belic:
Es sind aber sehr kurze Kapitel.
Andreas Unterweger:
(lacht) Ja, kurze Kapitel, die haben oft auch eine längere Entstehungsgeschichte, manchmal. (lacht) Wir haben dann Kinder bekommen, recht bald, zumindest das erste Kind. Und mir sind dann diese Kinderbücher, also die Bücher über Kinder, dazwischengekommen. Zuerst „Du bist mein Meer“, ein Buch über die Schwangerschaft, das also wirklich fast bis zum Tag der Geburt meines ersten Kindes geschrieben wurde. Und dann das zweite Buch, „Das kostbarste aller Geschenke“, über das Leben mit dem Kind, die Veränderungen. Das waren einfach Dinge, die drängend und wichtig waren für mich, aber mit dem „Gelben Buch“ nicht so viel zu tun hatten. Aber „Das gelbe Buch“ war immer da. Also ich habe Phasen gehabt, wo ich dann nur an dem geschrieben habe. Parallel nie, also Monate an dem und dann Monate an dem. „Das gelbe Buch“ zu schreiben war einfach die größte Schreibfreude überhaupt. Also ich habe da ja wirklich eine kindliche Freude gehabt an dieser Welt und an den Dingen, die den Protagonisten zustoßen. Damals hatte ich auch viel Zeit zum Schreiben. Da waren immer so drei, vier Tage am Stück, die ich dann nur zum Schreiben hatte und wo ich ganz in die Landschaft um mein Haus eintauchen konnte. Da war ich allein im Haus, mit meinem Computer, mit der Katze, mit den Tieren rundherum und konnte das Buch, obwohl es nicht autobiographisch ist, so richtig leben. Ich habe da auch wirklich ein Mordsarbeitstempo draufgehabt für meine Verhältnisse, oft so vier Kapitel am Tag, was für mich sehr, sehr viel ist.
Barbara Belic:
Du hast jetzt über die Entstehungsgeschichte deines „Gelben Buches“ gesprochen. Das Buch, würde ich sagen, hat zwei Ebenen, was der Klappentext so beschreibt: „Poetischer Eigensinn als Kindheitsutopie, ganz ohne Rücksicht auf die ‚Aufgaben der Literatur‘ – oder“, und das ist jetzt der Punkt, den ich meine, „oder Wittgenstein als Kinderbuch gewissermaßen, angereichert mit höheren und tieferen Witzen, Fotos, Rechenaufgaben und mehreren Motti zur freien Wahl.“ Wie interpretierst du das: „Wittgenstein als Kinderbuch“?
Andreas Unterweger:
(lacht) Ja, wie gesagt, es sind gewisse Einflüsse aus eher theoretischen Texten in dem Buch drinnen, Kybernetik und zum Teil tatsächlich Wittgenstein, wobei es mir immer eher um die Sprache dieser Autoren geht, weil das sind ja auch Autoren. (lacht) Ich bin nicht so ein großer Philosoph oder Denker, um da folgen zu können weiß Gott wie weit. Aber die Sprache fasziniert mich. Dass der Wittgenstein ein großer Dichter ist, das ist eh bekannt seit der Wiener Gruppe, die auch in das Buch eingeflossen ist, zum Teil. Und das Buch, würde ich sagen, ist eben nicht nur eine Märchenwelt, in der amüsante Dinge passieren, sondern es hat durchaus einen gedanklichen Hintergrund, wie auch immer man den dann definieren will. Ein Aspekt, dem ich insofern Rechnung getragen habe, als es zwei Verzeichnisse gibt. Im Anhang gibt es so ein paar Dinge, die es normalerweise im Anhang gibt: Inhaltsverzeichnis und so was wie eine Entstehungsgeschichte und kleine theoretische Bemerkungen zum Buch. Und es gibt dann auch zwei Inhaltsverzeichnisse: das eine konzentriert sich eben auf den inhaltlichen Aspekt und das andere gliedert denselben Inhalt nach anderen Gesichtspunkten, nämlich theoretischen. Und da gehtʼs dann um Dinge wie „Identität und Differenz“ usw., immer natürlich auch mit einem Augenzwinkern zu verstehen. (lacht) Es ist kein theoretisches Buch, aber das steckt eben auch drinnen.
Barbara Belic:
Du legst in deinen Büchern immer großen Wert auch auf die äußere Form. Warum?
Andreas Unterweger:
(lacht)
Barbara Belic:
(lacht) Das tun ja nicht alle Schriftsteller.
Andreas Unterweger:
Ja, also mir persönlich ist die Form eigentlich wichtiger als der Inhalt. Wie etwas gesagt wird, ist mir weitaus wichtiger, als was gesagt wird. Das, was gesagt wird, ergibt sich dann eh aus dem, wie es gesagt wird in meiner Erfahrung. Also, Form ist mir sehr wichtig. In diesem Buch gibt es verschiedene Formspielereien. Unter anderem schauen manche Kapitel so aus wie Gedichte, würde ich sagen, wo die Zeilen alle die gleiche Länge haben und in der Mitte so eine Art Refrain immer wiederkehrt, zentral gesetzt. Es war natürlich eine Heidenarbeit, das dann beim Layouten so ins Buch rüberzukriegen. Was bei mir im Manuskript drei Zeilen waren, waren dann im Buch vier oder fünf Zeilen, und das musste man dann zum Teil neu schreiben oder umschreiben. Aber für mich stimmt das so, also die Form ergibt sich beim Schreiben für mich von selbst, und sie ist mir eine große Hilfe aus verschiedensten Gründen. Unter anderem aus dem, dass das sonst einfach ausufert. Also, wenn ich die weiße Seite vor mir hab, die ist beängstigend groß, aber wenn ich dann weiß, ok, das sind jetzt fünf mal drei Zeilen, das ist etwas, was ich schon schaffen kann: Drei Zeilen hab ich geschafft und noch einmal drei, na das, (lacht) das ist etwas, was ich kann, und es hilft mir auch beim Konzentrieren. Es ist unglaublich, wie Dinge oft zusammenschrumpfen, die zuerst auf drei, vier Seiten gehen, und dann denkt man sich „nein, das labert und labert und irgendwie, das ist es noch nicht wirklich, nicht wirklich konzentriert und nicht wirklich witzig oder pointiert. Wenn man das dann verknappt, ist es erstaunlich, wie kurz man werden kann, und es wird so viel besser. Die Sprache nimmt immer Abkürzungen – das Denken, was in dem Buch auch drinnen ist, das Denken ist etwas, in meiner Erfahrung etwas, was unglaublich langwierig ist. Man geht von einem kausalen Schluss zum nächsten, dann erklärt man wieder was und wieder, es ist ein langer Weg. Aber das Schreiben macht Kurzschlüsse, und man kann von A nach Z mit einem Satz springen, und da steckt eigentlich der ganze Weg drinnen, der dann gar nicht gesagt werden muss.
Barbara Belic:
Nach all dem, was du da erzählst, müssten dir eigentlich Haikus sehr nahe sein.
Andreas Unterweger:
Ja, das sind sie auch, ich habe große Sympathie für die Form. Als ich so zwanzig Jahre alt war, glaube ich, habe ich sogar versucht, Haikus zu schreiben. Da gibtʼs sehr schöne Versuche von Oulipo-Autoren, wenn wir schon von der Form sprechen. (lacht) Eine französische Bewegung, ich weiß gar nicht, wie aktuell sie noch ist, die nur mit Formspielereien gearbeitet haben. Der Formzwang war da ganz wichtig. Da gabʼs von der Michelle Grangaud ein schönes Experiment, die Sonette von Joachim de Bellay aus dem 16. Jahrhundert hergenommen hat und aus diesen Sonetten jeweils ein Haiku destilliert hat, wo sie nur Wörter verwendet hat, die in dem Sonett drinnen waren, und daraus hat sie dann ein Haiku gemacht. Und in dem Haiku steht, ja, oft steht das Gleiche in viel kürzerer Form drinnen, und manchmal ganz was anderes. Ein sehr schönes Experiment, über das ich einmal eine Proseminararbeit geschrieben habe. Und ich habe das dann auch probiert mit anderen Gedichten, ist lustig, aber das nur am Rande, ja. (lacht) Also vielleicht schreibe ich so was wie Prosa-Haikus zum Teil. (lacht)
Der Gegensatz zwischen Idylle und dem Sich-mit-dem-Denken-die-Welt-Verstellen oder zwischen Idylle und Philosophie, wenn man so will, ist in dem Buch eben auch insofern drinnen, als man bei den Figuren recht schön beobachten kann, dass sie ständig Probleme wälzen, wo der Leser erkennt, das sind in Wirklichkeit keine Probleme. Aber für die kleinen Buben sind es Probleme und wir wissen dann, das sind in Wirklichkeit Synonyme, tja. Also zum Beispiel das Problem mit Tomatensauce und Paradeissauce: Tomatensauce hassen sie, aber Paradeissauce ist ihre Lieblingsspeise. Das klingt vielleicht superdämlich beim ersten Mal Hören, (lacht) aber das ist belegt, also diese Dinge passieren ja wirklich bei Kindern. Man sieht dann da, wie sich die Protagonisten mit dem Denken, mit zu viel denken und zu viel Sprache die Schönheit der Welt verstellen. Also die gute Paradeissauce verstellen sie sich durch das falsche Wort. Und ich habe mir gedacht, dass man vielleicht von dieser Welt auf unsere Welt schließen kann, dass es uns vielleicht ähnlich geht, und wir uns selbst auch durch Denken und Sprache oft die Welt mehr verstellen als erhellen.
Barbara Belic:
Das sagt einer, der sich mit Sprache sehr intensiv beschäftigt. (lacht)
Andreas Unterweger:
(lacht) Gezwungenermaßen, sonst kann ich nix! (lacht)
Barbara Belic:
(lacht) Sagt Andreas Unterweger mit für ihn typischem Understatement.
…
B: Andreas Unterweger liest nun einige Ausschnitte aus seinem „Gelben Buch“. Er beginnt mit dem Kapitel Die Glocken von Hoboken oder Der Palast des Biberkönigs. Hoboken ist eine kleine Stadt in New Jersey und liegt am Hudson River, direkt gegenüber von Manhattan. In Andreas Unterwegers Buch ist es eine Art Sehnsuchtsort, inspiriert von einem Song von Bob Dylan, darin heißt es: „Crossing the bridge, going to Hoboken / Maybe over there, things ain’t broken“.
Und wie es sich im Alltag äußert, wenn einem „die Form eigentlich wichtiger [ist] als der Inhalt“, sieht man unten:
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Mit bestem Dank an Sarah Stadler für ihre exzellente Transkription!