Andreas Unterweger

Guillaume Métayer: Drei Gedichte (manuskripte 224)

Posted in manuskripte, Simulakren, Tingeltangel-Tour by andreasundschnurrendemia on 27. Juni 2019

Mein persönlich(st)er Beitrag zu Heft 224 der manuskripte sind diese Übersetzungen dreier Gedichte von Guillaume Métayer, zurzeit Styrian Artist In Residence des Landes Steiermark.

Während Guillaume Métayer in Frankreich eben mit seiner Übersetzung der gesammelten Gedichte Friedrich Nietzsches (in Form, sprich: Reim!), die auch im Bezug auf die deutsche Edition neue Maßstäbe setzt, große Erfolge feiert (s. etwa Rezension in Libération oder Le nouveau magazine littéraire) …

 

(Foto: lesbelleslettresblog)

… ist er hierzulande hauptsächlich als Dichter bekannt. Dies mag an seinem Gedichtband „Simulakren“ (Yara 2016) ebenso liegen wie an seinen Veröffentlichungen in den manuskripten (z. B. der Essay „Von unserem Sonderberichterstatter in Poesie“, manuskripte 218) und seinen Aufenthaltsstipendien im Rahmen des Styrian Artist in Residence-Programms (2017 und 2019).

(Der junge Nietzsche und sein Übersetzer [v.l.n.r.])

Für die eben erschienenen manuskripte 224 habe ich drei neue Gedichte übersetzt, die Métayers lyrische Bandbreite skizzieren – vom zeitkritischen, ebenso ironischen wie formvollendeten Sonett über die kurze subjektive Reflexion bis zum epischen Langgedicht à la István Kemény (den Métayer ins Französische übersetzt):

 

 

FB WORLD

 

 

Wir haben erfunden: das Buch der Gesichter

wo jedes Maul wie eine Flaschenpost ist

Wir sind alle zu schön jeder ein Spezialist

darin nett großzutun bei der Jagd auf Irrlichter

 

Seht hier unsere Posten und Pfoten und Dichter

unser bestes Profil Kleinkram der uns anpisst

Aber weil zurückschnellt was nicht abwürgbar ist

kommt unsere Traurigkeit hoch vor die Richter

 

Die Glätte des Bildschirms bietet keinen Stopp

Wir sind hier gefangen im großen Als-ob

beim Casting für ein terroristisches Stück

 

Trauerweide von Pest als Baum unsrer Ahnen

Passfotos wie Aschenfahnen

Fajumporträts sind wir Untote vor Glück

(Schauspielerin Sarah Sophia Meyer liest „FB World“ bei der Präsentation der manuskripte am 26.06.19 in der Stmk. Landesbibliothek, (c) manuskripte)

 

 

Recht

 

 

Papier Gewalt

Die in Wettbewerb tritt mit dem Gewicht eines Kindes

Tintenseerose

Die all die Zimmer füllt, all meine Zeit.

Verlorenes Juwel

Am Grunde eines Brunnens des Argwohns.

Tunnel der Pflichtfigur

Für den Vitruvianischen Menschen in seinem Spinnennetz.

 

 

 

 

Von einem nuklearen Epos

 

 

Rauch zwischen dem roten Blinken,

Aber die Installation ist nicht in Gefahr.

Das Wasser bleibt glatt, die Leere und die Wand intakt.

Im einzigen Strahl eines schüchternen Mondes

Badet die Spitze eines Zeigefingers,

Beladen mit unendlich codierten Wellen,

Vertrautes Labyrinth, Rivale trüben Wassers,

Milchstraßen, die sich in schwarze Löcher knüllen,

Sandrosen des Himmels …

Dieser Finger, der sich da windet, ähnelt

Einem jener Fische, die zum Licht hochschwimmen,

Wie in einem aufsteigenden Tanz, einem Karussell

Der Kegel, der Marionetten, deren Fäden das Licht wären

Und deren Magnet der Mondstein.

Oder der alte Bärtige, der diesen anstößigen Finger

Beunruhigt, dann befriedigt untersucht,

Erst ganz still, dann mit einem murrenden Sermon

Sicher stellt, dass seine unzähligen taktilen Kanäle

Ihren Platz auf seinem Zeigefinger eingenommen haben: er macht sich bereit, von der Höhe

Des Damms die längste Angel der Welt auszuwerfen,

Ganz hinunter, ganz hinunter, weit weg von diesem Rauch hier,

Der ganz hinauf, ganz hinaufsteigt, auf diesen Mond zu

Und dem Himmel gegenüber, die Hand in der Leere, fühlt er, wie

In Extase, weit weg, das Abendessen zappeln. Danach, es hinaufziehen,

Vorsichtig, über mehrere hundert Meter.

Dann essen, schlafen gehen, wie üblich,

Gemäß der persönlichen Philosophie des Hosha Suru,

Nach der die geringste falsche Bewegung

Einen Sturz aus dreihundert Metern zur Folge hat und den Tod,

Unweigerlich. Ideal einer absoluten Selbstbeherrschung,

Wo das geringste Stampfen für den Schläfer tödlich sein kann,

Außer wenn er in seinem Fall die raue Wand zu krallen kriegt

Und Halt findet in dieser Mauer ohne Griff, deren

Geringste Reliefs für Riesen bemessen zu sein scheinen.

So, mit dem fernen Schnee der Berge als Decke

Und dem blauen Himmel als Schal, nistend

Über diesen verlassenen Amphitheatern,

Diesen Gavarnie´schen Karen, die eine übermenschliche Technik

Von Insel zu Insel säte, als wahrer

Floh auf so manchem Argus aus Beton mit blinkenden Augen,

So lebt seit über zwanzig Jahren Hosha Suru,

Der Verstrahlte.

*

Die manuskripte 224 sind u. a. im manuskripte Webshop erhältlich!

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