Andreas Unterweger

Was mache ich hier

Posted in Dylanologie, Im Auftrag des Herrn unterwegs, Tingeltangel-Tour, Unterweger & Stift by andreasundschnurrendemia on 15. April 2015

Nachtrag zum Termin:
16.04.2015, 20:00, Andreas Unterweger liest bei der Präsentation der Anthologie „Franziskus Unser. Literarische Positionen zum Papst“. Hg. v. Andrea Stift (Leykam 2015). ImCubus, Mariahilferplatz 3/I, 8010 Graz. Außerdem lesen: der gute Christoph Dolgan und Herausgeberin Andrea Stift.

Das war eine schöne und unterhaltsame Sache, die, u.a., so ausgesehen hat:

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Alle Fotos: (c) Leykam Buchverlag/E. Klöckl-Stadler

Und hier die ersetn 3/5 meines eigenen Beitrags zum Buch, den Andrea Stift, höchst eloquent, vorab so beschrieben hat:

„Bei Andreas Unterweger wird die Teilnahme an dieser Anthologie zur Glaubensfrage: „Was mache ich hier?“ Seine „fünf Botschaften“, deren autobiographische, belletristische und essayistische Elemente das Papstamt aus unerwarteten Perspektiven hinterfragen, bergen dann dennoch eine Art Glaubensbekenntnis: zum Schreiben.“

WAS MACHE ICH HIER
5 Botschaften

Die Glocken von St. J.

In dem Dorf, wo wir wohnen, nah bei unserem Haus, steht eine kleine Kapelle. Die Glocke des Turms, nein: Türmchens dieser Kapelle läutet dreimal am Tag: um sechs Uhr früh, zwölf Uhr mittags und sechs Uhr abends.
Wobei „läuten“ das falsche Wort ist. Es handelt sich eher um so etwas wie ein Schrillen, hysterisch, ja, aggressiv, eine Art metallisches Bellen – kein Wunder, dass der Hund unserer Nachbarn, ein ebenso diszipliniertes wie intelligentes Tier, jedes Mal wieder (also dreimal am Tag, dreimal dreihundertdreiundsechzig Komma fünfundsiebzig mal im Jahr [abzüglich Karfreitag und -samstag, unter Berücksichtigung von Schaltjahren], insgesamt somit tausendeinundneunzig Komma fünfundzwanzig mal pro Jahr [sprich: exakt siebentausendsechshundertachtundreißig Komma fünfundsiebzig mal in den sieben Jahren, die wir nun hier wohnen]) die Nerven komplett wegschmeißt, um in (nicht nur stimmlich) allerhöchster Verzweiflung in das Gejaule seines eisernen Artgenossen, der ihn aus dem hier sonst so heiteren, friedlichen Himmel heraus ankläfft, einzufallen.
Dieses Duett erreicht eine Lautstärke, gegen die sich selbst das gelegentliche Vorbeidonnern versprengter Motorrad-Nomaden molto amabile ausnimmt: Kinder schrecken aus dem Schlaf, Katzen flüchten auf Dachböden, Hasen jagen im panischen Zickzack übers Stoppelfeld, bis – nach jedes Mal aufs Neue mitgezählten einhundertvierundzwanzig Glockenhieben (das macht, nebenbei bemerkt, insgesamt neunhundertsiebenundvierzigtausendzweihundertfünf, seitdem wir hier wohnen) – der Lärmpegel abebbt, der Hund erschöpft ins Gras sinkt, der Himmel aufklart, wieder Frieden herrscht.
So viel zur Rolle der katholischen Kirche in meinem täglichen Leben.

The Chimes Of Bob Dylan

Bob Dylan liebt Glocken. Die Hinweise darauf reichen von The Chimes Of Freedom (1964) über „the sounds of those Methodist bells“ in Sara (1976) bis zu einer entsprechenden, sehr erhellenden Äußerung, von der ich leider vergessen habe, wo sie nachzulesen ist.
Jedenfalls – so meine privatdylanologische Radikalthese – ist es im Wesentlichen, sprich: in Wirklichkeit, Bob Dylans Liebe zum Klang von Kirchenglocken zu verdanken, dass dieser, geboren als Robert Allen Zimmermann, aufgewachsen in einer jüdischen Familie und danach weltweit bekannt geworden als Verfasser musikalischer Fundamentalkritik an jeglicher Art von Autorität, 1978 – aus heiterem Himmel, sozusagen – ein christliches Erweckungserlebnis erfuhr.

Die erste Botschaft, die Bob Dylan am Beginn seiner drei Alben währenden christlichen Phase verkündete, ist folgende: „Well, it may be the devil or it may be the Lord / But you’re gonna have to serve somebody“.
Dies erinnert an einen recht aktuellen Tweet von Papst Franziskus I., über den ich beim Recherchieren gestolpert bin (den Tweet, nicht den Papst): „Wenn man nicht Gott anbetet, dann wird etwas anderes angebetet. Geld und Macht sind Götzen, die oft Gottes Platz einnehmen.“ (@pontifex_de, 02.08.2014)

Zitiert der Papst etwa Bob Dylan? Nein, beide paraphrasieren das Neue Testament: „Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ (Mt 6,24 Lut)
Die Botschaft der drei Texte ist jedenfalls ziemlich die gleiche – mit dem Unterschied, dass für den frisch erweckten Gottesdiener Dylan noch eine Erkenntnis darstellt, was für die routinierteren Franziskus und Matthäus bereits außer Frage steht.

Als John Lennon Dylans Song „Gotta Serve Somebody“ erstmals im Fernsehen hörte/sah, antwortete er, fuchsteufelswild, mit dem Song „Serve Yourself“.
Aber selbst bei diesem Gebot bin ich mir, irgendwie, nicht ganz so sicher.

Die Päpstin

Das Grimm´sche Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ handelt, u. a., davon, wie man Papst wird bzw. was es bedeutet, Papst zu sein. Demzufolge geht es dabei um Reichtum, sprich: um Macht.
Ilsebill, die Frau des Fischers, der den verzauberten Butt aus dem Meer gezogen und wieder zurückgeworfen hat, wünscht sich vom Fisch immer schönere (teurere) Behausungen (statt des ursprünglichen „Topfs“ [im plattdeutschen Original: „Pisspott“] erst eine Hütte, dann ein Schloss), bevor sie auf Ämter verfällt: König, Kaiser und schließlich, auf ihrem Höhepunkt (vor dem Totalabsturz, der mit dem Satz „ick will warden, as de lewe Gott!“ beginnt), ist Ilsebill für einen Tag und eine Nacht sogar – „in lauter Gold gekleidet“, „drei grosse goldene Kronen auf“, umkniet von allen „Kaiser[n] und […] Könige[n]“, die ihr „den Pantoffel küssen“, und alles in allem strahlend wie „die helle Sonne“ selbst – Papst.

Diese Karriereleiter wirkt mittelalterlicher, als sie womöglich ist – schließlich führt das Forbes Magazin Papst Franziskus I.immer noch als viertmächtigsten Menschen der Welt. Und als Verfüger über ein Vermögen von bis zu 12 Milliarden Euro, das, u. a., in allerlei Unternehmungen angelegt ist, zählt er auch zu den Top 60, 70 der Allerreichsten.
Ich weiß schon, man darf Franziskus aka Jorge Mario Bergoglio, der sich mit seinem Kreuz aus Eisen wohl tatsächlich, und wahrscheinlich auch aufrichtig, darum bemüht, ein „Papst der Armen“ zu sein, nicht mit den anderen Gestalten auf den beiden Listen (Putin, Blatter, Google usw.) in einen Pisspott werfen … Andererseits:

„Es gibt keine saubere Methode, um zu hundert Millionen Eiern zu kommen […] Der Mann ganz oben glaubt vielleicht, daß seine Hände sauber sind, aber irgendwo auf dem Weg nach unten sind Leute an die Wand gedrückt worden, ist netten kleinen Geschäften der Boden unter den Füßen weggezogen worden, so daß sie für ein Butterbrot verkauft werden mussten, haben anständige Menschen ihre Stellung verloren, ist der Aktienmarkt manipuliert worden, hat man die Bevollmächtigten der Konkurrenz gekauft wie alten Ramsch, und die Lobby-Piraten und die großen Rechtsverdreher-Firmen haben Hunderte von Riesen dafür eingesteckt, dass sie ein Gesetz unter den Tisch brachten, das vom Volk zwar gewünscht wurde, von den Reichen aber nicht, weil es ihnen den Profit schmälerte. Geld ist Macht, und Macht wird mißbraucht. Das liegt im System. Vielleicht ist´s ja das beste System, das wir haben können, aber freuen tut´s mich trotzdem nicht.“
Raymond Chandler, Der lange Abschied

[…]

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Geh ´nause´!

Mein Beitrag zu:

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Szenischer Abend in 10 Stationen mit dramatischen Kurztexten von Valerie Fritsch, Anselm Glück, Elfriede Jelinek, Stefan Schmitzer, Monique Schwitter, Clemens Setz, Gerhild Steinbuch, Peter Turrini, Andreas Unterweger und Josef Winkler.
Zum 10. Geburtstag des Literaturhauses Graz

Mitwirkende SchauspielerInnen: Katharina Paul, Sebastian Reiß, Susanne Weber, Rudi Widerhofer
Musik: Robert Kreš (Geige), Lothar Lässer (Akkordeon)
Regie: Danielle Strahm, Regieassistenz: Julia Hager, Ausstattung: Manuela Pirozzi

Vorstellungstermine: 15., 16., 21., 24., 25., 26., 27. Mai und 1., 2., 3. Juni 2013, Beginn: jeweils 19.30 Uhr

Geh „nause“!

 10 x 3 Wegbeschreibungen

zum 10. Geburtstag
des Grazer Literaturhauses
(eröffnet ´03)

Schick deine Homies vor: nach Tokio, Narita Airport. Lass sie dort Gösser saufen, Schnitzel
futtern, furzen. Und die Gates mit Cif putzen – bis es riecht wie in Wien-Schwechat. Dann:

komm du.

*

Geh heute ausnahmsweise einmal zum Spar, nicht zum Billa. Such dort so lange nach deinem
Lieblings-Bio-Bulgur, bis du im Labyrinth schluchzend zusammenbrichst … Dann: geh rüber

zum Billa.

*

Mal die traurigen Hügel dort, die zum Weinen sind, wenn man sie in der Sonne anschaut. Mal
dir ein gelbes Haus darauf, mit großen Fenstern, einer roten Tür. – Öffne die Tür. Schließe sie

(hinter dir).

*

Überschütte dich mit Benzin. Leg den Sprengstoffgürtel an, die Schlinge um. Steck dir die
Pumpgun in den Mund, die Pillen, setz die Rasierklinge an … Steig aufs Brückengeländer.

Spring – nicht.

*

Streichle deine Katze – mit der Nasenspitze – im Nacken, wo sie es am liebsten hat. Atme den
Wellenrausch der Wiese ein, die Gischt des Taus, das gelbe Flimmern, das so schläfrig macht.

Bleib so.

*

Spring in den Bach neben der Autobahn. Tauch ein – in seine ganze Länge: stell dir den Biber
vor, mit dem du dir das Wasser teilst, den Wels; denk an den Aal auf seinem Trip ins Meer …

Folge ihm.

*

Gib die Kontaktlinsen raus – und fahr mit U-Bahn, Tram und Bus (wobei du mindestens
fünfmal umsteigst) zu einer Adresse, wo du noch nie zuvor gewesen bist. Gib dort die Linsen

wieder rein.

*

Warte auf die erste Schneesturmnacht des Jahres. Steig dann in deinen Truck und fahr über
den Wechsel (oder die Rocky Mountains [oder sonst ein Gebirge]). Halte beim erstbesten

Parkplatz danach.

*

Dreh die Zeit zurück – bis zu jenem Sonne-auf-Augen-zu-gelben Augenblick, der deiner
ersten Erinnerung unmittelbar vorausgeht. Schau dich um. Präge dir alles ganz genau ein, und

„vergiss“ es.

*

Zieh ins Tonstudio. Nimm dort – Nacht für Nacht, sobald sie schläft – die Atembrandung
deiner Liebe auf. Gib die Ohropax raus, die Kopfhörer rein – wenn du allein bist, später dann,

im Sarg.

*

Erbe das Rezeptbuch deiner Großmutter. Entziffere ihre Handschrift. Bereite das „Hendl“ zu,
die „Fülle“, den „Saft“ – ganz genau so, wie sie es immer gemacht hat. Koste. – Nein, das

funktioniert nicht.

*

Warte auf die Regenzeit. Steig dann – allein – auf den Hohenstein (oder den K2 [oder sonst
einen Berg]). Krall dich in den Fels. Zieh dich hoch. Kriech zum Schutzhaus. Rette dich: in

den Notraum.

*

Trag immer bei dir: das Frosch-Spülmittel, den Denk mit-Schwamm, das Geschirrtuch aus
Frankreich (mit den roten Birnen drauf). Und wohin es dich auch verschlagen mag: mach du

den Abwasch.

*

Erbe den Toaster deiner Großmutter. Stell ihn auf den Küchentisch – wie eine Vase (Urne?) –,
steck ihn an. Schieb keine Scheibe Toast hinein. Setz dich. Drück den Hebel nach unten. Und

jetzt: schnuppere.

*

Komm nicht auf blöde Ideen wie diese. Hab nicht so viel getrunken, nichts geraucht, sei gar
nicht erst mitgegangen. Und: schau nur, geh nicht hinein. Nein, schau nicht einmal. Geh nicht.

Geh nicht.

*

Erbe die Uhr deines Großvaters. Leg sie in dein Bett, neben dich – und wenn du nachts nicht
schlafen kannst, dann schau, wie früher, zu ihr hin: Wie ihr Ziffernblatt leuchtet! Wie sein

Herz tickt!

*

Hör heute ausnahmsweise einmal früher auf zu arbeiten. Nein: fang gar nicht erst an. Lass dir
zum Frühstück Pizza kommen, Eis und Bier, hau dich aufs Sofa, schau Sitcoms. Und hab ein

gutes Gewissen.

*

Finde deinen Platz. Such das Haus ab, den Garten, die Straße. Versuch´s unter der Tanne, auf
ihr, in der Restmülltonne. Such, bis es Nacht wird – Tag wird – such weiter … Bleib dort, wo

du zusammenbrichst.

*

Tausch Platz mit deinem Spiegelbild. Sei Immigrant im Wunderland, lern Jabberwocky,
gewöhn dich an den Linksverkehr. Schau dich an – im Rückspiegel. Und erkenne dich selbst

nicht wieder.

*

Zieh aufs Klo. Lern im Sitzen zu schlafen, mit Fliesen zu kuscheln, sprich mit dem Klobesen,
wenn du ihn gießt … Wisse: du kannst aufatmen. Jetzt (endlich!) bist du in keinem Haus mehr

ein Fremder.

*

Zieh ins Literaturhaus. Geh dabei so vor: Versteck dich während dieser Vorführung (z. B.
hier, im Text), lass dich einsperren. Und wenn alle fort sind: hol die neue Mickey Mouse raus

und lies.

*

Warte auf den heißesten Tag des Jahres. Wandere dann, auf dem größtmöglichen Umweg,
zum Grazer Landhaushof, setz dich unter die Arkaden. Die Holzbänke dort liegen seit 1505

im Schatten.

*

Stell den Schuh wieder hin. Nimm den Finger vom Sprayknopf, kehr das Backpulver auf,
kämm das Schneckenkorn aus der Wiese. Zieh den Gelsenstecker raus. Entrolle die Zeitung.

Tu´s nicht.

*

Frag dich auf Stoasteirisch durch Mumbai (oder Guǎngzhōu [oder Seoul [oder Lagos]]) – bis
dir jemand auf Stoasteirisch antwortet. – Aber nein. Das vergiss gleich wieder. Dieser Weg ist

zu einfach.

*

Lies alles über Bob Marley. Tourtagebücher, Memoiren, das Rastafari Kochbuch. Analysier
seine Riffs, die Chiffren, sezier die Verwandlung von Fleisch in Musik. Dann aber: steh auf

und tanze.

*

Schau deinem Laptop dabei zu, wie er abstürzt. Wie das Warnfenster flackert, die Lüftung
aufjault, diese Zeile erlischt. Erlebe drei bange Minuten. Schalte das Ding wieder ein. Siehe:

alles okay.

*

Fahr in die Arktis, stürz dich von einer Klippe, werde die Möwe, die du in Wirklichkeit bist.
Merke: du bist der größte, stärkste Vogel hier draußen – niemand fliegt so hoch wie du. Dann:

lande wieder.

*

Lass dich von deinem Schatten scheiden. Wisch die Angst aus deinen Augenwinkeln, leg den
Trauerflor ab, der dich fesselt. Sag den Gleichnissen adieu, den Höhlen. Dreh dich um, blinzle

ins Licht.

*

Hör auf den Herzschlag deiner Mutter. Schaukle im Wellenrausch des ersten Meers, Eigelb
und Flimmernis … Dann aber: dreh dich, winde dich da raus. Wir versprechen dir: es kommt

noch besser.

*

Mach nur noch das, was deine Tochter sagt: Räum die Sonne weg! Blas die Brennnesseln aus!
Entschuldige dich bei den Regentropfen! Komm immer mit/schau immer zu/bleib immer da!

Geh „nause“!

Zeit aus den Fugen

Posted in Grazer Glossen, Im Auftrag des Herrn unterwegs by andreasundschnurrendemia on 6. März 2011

Geschrieben im November 2010, heute Morgen in G7, dem Grazer Stadtmagazin der Kleinen Zeitung, und auch heute Abend noch aktuell:

ZEIT AUS DEN FUGEN

Für Christian

Wer in die Stadt seiner Jugend zurückkehrt, reist immer auch durch die Zeit. Es ist wie in einer jener Filmszenen: Der (Anti-)Held, den man verkörpert, schaut oben aus dem Hotelfenster – und sieht sich selbst unten die Straße entlang stolpern: so viele Jahre jünger, so viele Erfahrungen ärmer, unterwegs im Labyrinth seiner Vergangenheit.
Wie verschlungen deren Wege auch gewesen sein mögen – diesem längst enteilt geglaubten Passanten heftet man sich gern an die Fersen. Zumindest mir ergeht es so. Wann immer ich nach Graz komme, folge ich freudig meinen alten Spuren – gegen den Strom (und oft leider auch gegen die Zeichen…) der Zeit.
„Schau, dort habe ich Zivildienst gemacht!“, rufe ich etwa meiner Frau zu, während wir durch die Münzgrabenstraße fahren. Sie seufzt, denn sie hat das schon 57 Mal gehört – hört es jedes Mal, wenn sie mit mir in Graz ist. Und dass ich, beidhändig deutend, das Auto fast in den Gegenverkehr lenke, kann ihre Begeisterung für meine autobiographische Schnitzeljagd auch nicht steigern…

Schon wahr: oft verstellt mir der „Nostalgiequatsch“, wie Element Of Crime so schön singen, den Blick auf das Graz der Gegenwart. Da dieses aber zweifellos auch viel zu bieten hat, begab ich mich jüngst, begleitet von einem lieben „alten“ Freund, auf Expedition. Ausgestattet mit einem ganzen Abend Freizeit (welch Luxus für uns Familienväter!), machten wir uns auf, den nostalgischen Schleier über unserem Stadtbild zu lüften – und uns als das zu präsentieren, was wir doch immer noch sind: radikal heutig, kompromisslos zeitgenössisch, Wellenreiter auf der Schaumkrone des ewig flüchtigen Jetzt!
Das erste Lokal, das uns (von früher) bestens vertraut war, bestätigte unsere Selbstwahrnehmung. An der Theke saßen (alte) Bekannte, auch den Kellner kannten wir (von früher), und dass uns selbst die Anekdoten, die er zum Besten gab, bekannt vorkamen, ließ unsere Vermutung, dass sich (seit damals) nichts, oder zumindest nicht viel, geändert hatte, fast Gewissheit werden.
Umso härter trifft uns der Lokalwechsel um Mitternacht. Ist die gewählte Kneipe „damals“, als wir noch studiert haben, von Gleichaltrigen frequentiert worden, so wimmelt es jetzt dort vor Halbwüchsigen. Selbst die Kellnerin ist noch ein Kind – kaum zu glauben, dass sie schon Vorlesungen besucht. Und doch: „Grüß Gott“, schmettert sie meinem Freund, der an der Uni lehrt, entgegen, ,,HERR PROFESSOR!!!“
An diesem Punkt des Abends gerät irgendetwas (die Zeit?) aus den Fugen. Es ist wie in einer jener Filmszenen: Die gesetzten „HERREN“, als die wir entlarvt worden sind, ergreifen umgehend die Flucht – werden jedoch von ihren jüngeren Doppelgängern, die eben hereinstolpern, zurückgehalten – ins Getümmel gezerrt – und auf Bier eingeladen…
Schnitt.
„Der gemeinsame Abend“, schrieb mir mein Freund am Tag danach, „war sehr gelungen. So alt und zugleich so jung, das ist schon etwas, worauf man stolz sein kann!“ – Ja, lieber Christian, das finde ich auch. Manches wird eben erst mit dem Alter zur Leistung. Und selbst wenn es, wie diesmal, Kopfschmerzen verursacht – die Gegenwart ist immer eine Zeitreise wert.

P.S.
Auf dem Kopf stehender Scan der Zeitungsseite mit der sehr schönen Illustration von Anna-Maria Jung (man beachte 1. die naturalistischen Porträts der beiden gertenschlanken Protagonisten und 2., dass sie lustigerweise Band-T-Shirts von Element Of Crime tragen) – hier klicken!

P.P.S.
Rätsel der Literatur:

Wer weiß, wie der Autor des Romans „Zeit aus den Fugen“ heißt, dessen Titel ich für meinen Artikel gezuguttenbergt habe?
Die erste richtige Antwort* gewinnt das Buch** aus meiner überquellenden Privatbibliothek!

* Googeln gilt nicht!
** Einmal gelesen, ohne Eselsohren und Klopapier-Lesezeichen, Neupreis: € 10,30.

Jeopardy

Posted in Im Auftrag des Herrn unterwegs by andreasundschnurrendemia on 26. Juni 2009

„Wandere durch den Regen“, fragte ein Gedanke, „bis sich in deinen Schuhen genügend Wasser gesammelt hat, um deinen Durst zu löschen.“
„Was ist weit“, antwortete der Pilger.

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Stadt der Spiegel

Posted in Im Auftrag des Herrn unterwegs by andreasundschnurrendemia on 26. Juni 2009

Kaum kam der Pilger in die Stadt, sah er sich allenthalben (in Schaufenstern, Autoheckscheiben, der geschlossenen Tür einer Bar …) mit seinem Spiegelbild konfrontiert.
„Es muss einen Zusammenhang geben“, dachte der Pilger, wieder und wieder (und immer gleichgültiger) an sich selbst vorbei wandernd, „zwischen diesem Phänomen und der Tatsache, dass sich die Städter, wenn sie einander auf der Straße begegnen (und ganz im Gegensatz zu den Leuten am Land!), nicht grüßen.“

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Die richtige Geschwindigkeit

Posted in Im Auftrag des Herrn unterwegs by andreasundschnurrendemia on 26. Juni 2009

„Was immer sich dir in den Weg stellt“, dachte der Pilger, „geh darauf zu: bevor du es erreicht hast, wird es sich aufgelöst haben … Du musst nur die richtige Geschwindigkeit wählen.“

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40 Tage und Nächte

Posted in Im Auftrag des Herrn unterwegs by andreasundschnurrendemia on 18. Juni 2009

Die nächsten 40 Tage und Nächte bin ich in der Wüste

(hier die Wüste bei Krems:

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), ergo erst übernächstes Wochenende (27./28.) wieder erreichbar.

In dringenden Fällen (und was ist nicht dringend?!) wenden Sie sich bitte an:

meine Verlobte,

meine Band,

meinen Verlag

oder

meine Lieblingskollegin.

Bis dann!