Hat dies auf Performer Transformer Wordformer rebloggt und kommentierte: Literaturplätzchen auf der Murinsel... ich war dabei
„In Zeilen wie diesen“ – Pressekonferenz, Vorwort, Textprobe
Am 16.03.2021, dem Jahrestag des ersten Lockdowns, fand in Klaus-Dieter Hartls Galerie Marenzi in Leibnitz eine Pressekonferenz zur Präsentation des Buchs „In Zeilen wie diesen . magic spell“ statt.
Manche erinnern sich vielleicht: vor rund elf Monaten habe ich – im Auftrag der Galerie Marenzi – wöchentlich prosagedichtähnliche Texte verfasst und dann in der Galerie eingelesen, um das tägliche Leben während des ersten Lockdowns zu dokumentieren. Kein Corona-Tagebuch, keine Glossen, sondern eher eine poetische Chronik (unten stehend mein Vorwort mit allen Details).
Meine Texte reagierten nicht zuletzt auf die Bilder Isa Riedls, die damals in der Galerie im Rahmen der Ausstellung „magic spell“ zu sehen waren. In dem Buch, das sehr schön geworden ist, kommen Bilder und Texte nun endlich endgültig zusammen.
Ich danke allen Beteiligten, insbesondere Klaus-Dieter Hartl und Vize-Bürgermeisterin Helga Sams (Leibnitz Kult), für die nette kleine Veranstaltung gestern, in deren Rahmen ich sogar ein kurzes Stück vorlesen konnte – meine erste echte Lesung seit wie langer Zeit!
Bezug nehmend auf die gerade wieder hochkochende Kritik daran, wie die Regierung mit den kulturellen Einrichtungen in der Pandemie umspringt, war es dieser Auszug, den ich gelesen habe:
„In jenen Tagen sah ich eine Welt aus dem Meer steigen, die war
selbst wie das Meer: unvorstellbar kalt, unvorhersehbar, herzlos
rollte sie, Welle für Welle, auf uns zu. Zu Beginn der ersten Welle
schloss man zuerst die Kunst, dann die Wirtschaft – denn diese sei
systemrelevant, die Kunst nicht. So wurde die Wirtschaft, anders
als die Kunst, auch gleich wieder aufgesperrt, als die erste Welle
verflachte. Wir aus der Kunst empörten uns, jedoch vergebens.
Eingebunkert in unsere Bubbles simulierten wir noch immer mit
Bildschirmen Scheinwerferlicht, als draußen eine zweite Welle
noch einmal, härter, über die Welt und ihre Wirtschaft hereinbrach.
Und dies sah ich: Bei jeder neuen Welle hatte die Kunst noch zu
und die Wirtschaft schon offen, oder umgekehrt: die Wirtschaft
noch offen, die Kunst schon zu. Und dies: Nach der letzten Welle,
als die Bullaugen unseres Theatrons sich ganz ohne Erlass, ganz
zaghaft, wieder öffneten, waren alle Fabriken, Bazare, Parkgaragen
(und was sonst noch so zur Wirtschaft gehört hatte) menschenleer.
Und: Nur wir allein, die aus der Kunst, hatten die Sintflut überlebt.
Mag sein, dass uns auch Gott, wie die Welt, weil wir eben nicht
systemrelevant waren, einfach vergessen hatte. Wie auch immer.
An einem windstillen Strand nahmen wir die Masken ab, spielten.“
*
Die ersten Presseberichte:
Bettina Kuzmicki in der Kleinen Zeitung v. 17.03.2021:
Heribert Kindermann in Leibnitz Aktuell v. 16.03.2021:
Waltraud Fischer in Mein Bezirk v. 16.03.2021:
*
Mein Vorwort zu „In Zeilen wie diesen . magic spell“ ist der einzige Text, der im letzten Jahr deutlich gealtert ist. Im Juni schien Corona schon weit weg, und ich dachte, man müsse zukünftigen Leser*innen zumindest zwischen den Zeilen erklären, wie das Leben im Lockdown mit „Homeschooling“, Maskentragen usw. denn so abgelaufen ist … Wie wir heute wissen, war das gar nicht notwendig. Die Leser*innen in 50, 60 Jahren werden es mir vielleicht dafür danken. Dann sind wir hoffentlich auch alle schon geimpft.
„VORBEMERKUNG
Diese 20 Texte sind das Ergebnis eines Schreibauftrags, den ich im April 2020 von Klaus-Dieter Hartl erhalten habe. Die Aufgabe bestand ganz einfach darin, literarisch auf das, was rund um mich geschah – die Gegenwart! –, zu reagieren.
Meine Gegenwart war damals, wie die der meisten Menschen in Österreich und darüber hinaus, massiv geprägt von den Auswirkungen all der gegen das Corona-Virus getroffenen Maßnahmen. Wie die meisten Leute verbrachte ich die meiste Zeit zuhause, arbeitete im „Homeoffice“, versuchte mich als Lehrer meiner eigenen Kinder beim „Homeschooling“, ging mit Maske und erhöhtem Puls in den Supermarkt, joggte regelmäßig und schaute in der Zwischenzeit oft auf mein Smartphone, auf dessen Bildschirm sich tatsächliche und befürchtete Horrorszenarien sowie WhatsApp-Witze und -Botschaften von in die Ferne gerückten Nächsten die digitale Klinke in die Hand gaben.
In der Sprache des Alltags/der Medien wurde dieser Zeitabschnitt meist so genannt: „in Zeiten von Corona“, „in diesen Zeiten“ oder „in Zeiten wie diesen“.
So kam ich auf den Titel In Zeilen wie diesen und lieferte fünf Wochen lang jeweils, passend zur Jahreszahl, 20+20 Zeilen, geteilt in vier Kapitel à zehn, die ich – meist samstags – in der Galerie Marenzi vor Max Pratters Kamera las. Max‘ Videos wurden anschließend auf dem YouTube-Kanal von Leibnitz Kult veröffentlicht.
Klaus-Dieter und ich waren uns von Anfang an darin einig, dass In Zeilen wie diesen weder in der gerade boomenden Gattung (Corona-)Tagebuch noch im humoristisch-polemischen Fahrwasser von Zeitungskolumnen angesiedelt werden sollten. Stattdessen versuchte ich eine flexible, prosagedichtähnliche Form zu entwickeln, die sich am Niveau und teils auch an der Motivik der in diesen Zeiten, von März bis Juni, in der Galerie gezeigten bildnerischen Arbeiten Isa Riedls orientierte.
Im Gegensatz zur strengen äußeren Gestalt der Texte ist ihr Inhalt breit gestreut. Vergleichbar der kubistischen Ästhetik einiger Werke Isas werden die verschiedensten Perspektiven, Stimmen, Zitate, Splitter aus dem privaten, dem Leibnitzer und dem Weltgeschehen sowie nicht zuletzt ein Call and Response-Spiel mit Aspekten aus der Ausstellung Magic Spell zu einem formal kompakten Ganzen montiert.
Ich danke Klaus-Dieter Hartl, Max Pratter und dem Team von Leibnitz Kult herzlich für die kompetente Unterstützung und Isa Riedl für die inspirierenden Gespräche!
Andreas Unterweger, Juni 2020″
*
Direktlinks zu den 2020 aufgenommen Videos mit Lesungen und Gesprächen:
In Zeilen wie diesen 1 (mit Bonus-Song)
In Zeilen wie diesen 2 (mit einem Gespräch mit Isa Riedl)
In Zeilen wie diesen 3 (mit einem Gespräch mit Isa Riedl und Bonus Gedicht)
In Zeilen wie diesen 4 (mit einem Gespräch mit Isa Riedl)
In Zeilen wie diesen 5 (mit einem Gespräch mit Isa Riedl)
*
Das Buch ist in der Galerie Marenzi, in Draxlers Büchertheke in Leibnitz oder auch bei mir um 10 Euro erhältlich.
Finissage Isa Riedl, Vernissage Laura Manfredi (Galerie Marenzi)
Zweimal innerhalb einer Woche war ich nun in der Galerie Marenzi in Leibnitz zu Gast.
Am 06.06.2020 las ich bei der Finissage von Isa Riedls Ausstellung „Magic Spell“ aus „In Zeilen wie diesen“, meinen „Corona-Texten“, mit denen ich die Schau während der letzten Wochen durch Online-Lesungen in den Räumlichkeiten begleitet hatte.
Vor der Lesung verkündete Klaus-Dieter Hartl, der Leiter der Galerie, erfreulicherweise, dass die 20 Prosagedichte in einer von der Galerie Marenzi herausgegebenen Broschüre erscheinen werden, gemeinsam mit Fotos von Isas Arbeiten.
Dazu mehr in Kürze.
*
Am 12.06. hatte ich die Ehre, bei der Vernissage der Ausstellung „Tapete – Landschaft der Erinnerung“ der italienischen Künstlerin Laura Manfredi „zur Ausstellung“ zu sprechen.
Ich trug die Biografie der Künstlerin vor:
Laura Manfredi beantwortete meine beiden Fragen („Warum ,Landschaft der Erinnerung‘?“ „Warum ,Tapete'“?):
Zum Abschluss las ich, als literarische Reaktion auf Lauras serielle Variationen und Umformungen einzelner Erinnerungsbilder, einen meiner frühesten Prosatexte, „Ein Bild von dir“, von 2006.
V.l.n.r., mit dem gebotenen Abstand: Bgm. Helmut Leitenberger, Vize-Bgm.in Helga Sams, Laura Manfredi, A.U., Klaus-Dieter Hartl.
*
Ich habe die Begegnung mit beiden Künstlerinnen als große Bereicherung empfunden. Welch ein Glück, dass es in Leibnitz möglich ist, zeitgenössische bildende Kunst auf diesem hohen Niveau zu erleben! Laura Manfredis Ausstellung ist bis 25.7. zu sehen: Empfehlung!
Und herzlichen Dank für die Einladungen, lieber Klaus-Dieter Hartl!
Alle Fotos: (c) Sepp Unterweger
Update:
Bericht und Fotos auf meinbezirk.at
LeibnitzKult auf Instagram:
In Zeilen wie diesen #5 (feat. Isa Riedl, Galerie Marenzi)
20+20 Zeilen aus den Zeiten, die wir gerade erleben – der 5. und letzte Teil meiner Auftragsarbeit für die Leibnitzer Galerie Marenzi, kuratiert von Klaus-Dieter Hartl, gefilmt von Max Pratter.
Dazu ein Gespräch mit der großartigen Grazer Künstlerin Isa Riedl, deren Arbeiten eben in der Galerie zu sehen sind. Wir sprechen über etwas, das uns verbindet: Konzepte der Auflösung.
Am 06.06. lese ich bei der Finissage der Ausstellung zweimal die gesammelten Texte:
Hier Teil 5 zum Mitlesen:
***
Dies also war nun unser Krieg. Endlich konnte es uns gut gehen,
so gut, wie es eben nur dann geht, wenn das Befürchtete tatsächlich
eintritt. Pandemien sind besser als Montagmorgen, und wir sahen,
maskiert, die Azaleen vor dem Spar erstmals wirklich. Später, als
Risikogruppe, würden wir etwas zu erzählen haben. Und weißt du,
ich wusste es schon damals, noch während es geschah, noch vor
der zweiten, vor der dritten Welle, dem D-Day, wusste ich: Ich für
meinen Teil würde nur von dir erzählen. Von uns, meine ich. Und
welch ein Glück ich denn nicht hatte, dass du es warst, die damals
bei mir war … Ich schreibe dies hier auf nur für den Fall, dass –
*
Wir hatten einen gemeinsamen Feind. Sogar die Taliban waren nun
für Ver- statt Kampfhandlungen – in jenen Gebieten zumindest, die
sie bereits erobert hatten. Während die NATO, um keine Gefühle
zu verletzen, die Presse nicht mehr über Angriffe des Islamischen
Emirats informierte, veranstaltete der Islamische Staat in Kabul,
drei Tage nach unserem Muttertag, eine systematische Hinrichtung
von Müttern. Drei Männer erschossen in einer Geburtsklinik 24
Neugeborene, Mütter und Krankenschwestern. So die Agenturen.
Ein Arzt vor Ort meinte freilich: Was passiert ist, kann mit Worten
nicht beschrieben werden. Wir hatten einen gemeinsamen Feind.
*
Also wurde das absurde Theater erfunden. Den Mitkonsumenten,
der im Supermarkt bei meinem Anblick noch in den nächsten Gang
geflüchtet war (obwohl ich doch, wie er, ein Horn auf der Nase
trug!), traf ich später auf dem Hauptplatz wieder. Verschwörerisch
stellten wir uns an einen Stehtisch (0 bis kein Meter Durchmesser),
steckten die Hörner zusammen, füllten sie mit Wein. Verleugnung,
Wut, Verhandlung, Depression: all das durchlebten wir zusammen.
Schließlich akzeptierten wir die neue Weltordnung, stießen drauf
an. Dass wir dabei die Gläschen vertauschten, WHO cares … Wir
hatten uns ja ohnehin, verordnungsgemäß, die Kehlen desinfiziert.
*
In jenen Tagen sah ich einen Berg aufsteigen über Kathmandu, der
hüllte sich nicht in Luftverschmutzung, und das zum ersten Mal
seit Jahrzehnten. Und weil dieser Gipfel als höchster der Welt galt,
gab es mir doch zu denken, dass darauf weder Zeus zu sehen war
noch Yeti, der ihm eingeborene Sohn. Hatte Gott uns verlassen?
Ratlos pilgerte ich nach Hause, wo Pascal, mein Zimmergenosse,
mich nachdenklich erwartete: Die Stoiker, sagte er, sagen: Haltet
Einkehr in euch selbst, dort werdet ihr eure Ruhe finden. Und das
ist nicht wahr. Die andern sagen: Geht nach draußen und sucht
das Glück, und das ist nicht wahr: Die Krankheiten kommen.
***
Geschrieben bis 24.5., aufgenommen am 30.5.2020. 😕
In Zeilen wie diesen #4 (feat. Isa Riedl, Galerie Marenzi)
20+20 Zeilen aus den Zeiten, die wir gerade erleben – Teil 4 meiner Auftragsarbeit für die Leibnitzer Galerie Marenzi, kuratiert von Klaus-Dieter Hartl, gefilmt von Max Pratter.
Dazu ein Gespräch mit der großartigen Grazer Künstlerin Isa Riedl, deren Arbeiten eben in der Galerie zu sehen sind. Wir sprechen über etwas, das uns verbindet: Zaubersprüche.
Hier zum Mitlesen:
*
Und meiner Timeline ward ein Mund gegeben, groß zu reden und
Lästerungen, und so tat sie ihn auf, zu lästern ein weltregierendes,
geheimes Wesen, das da hieß: Verschwörungstheorien. Mit denen
lief es wie mit negativer Theologie, dem Antikörpertest auf Gott,
sprich: Hätte man sie nicht verneint, man wäre nicht auf die Idee
gekommen, dass sie existierten. Sie hießen, hieß es, Dämonologie,
Reptiloiden, Homöopathie, Impfskepsis, Yoga oder Trump, und all
das, so hieß es weiter, sei nur ein Einziges, und sein Name sei: Nazi.
Ich hätte dazu, wie Columbo, noch ein Fräglein gehabt, doch siehe:
Als ich den Mund auftat, kam kein Sprech heraus, nur eine Blase.
*
Wie die Taschenlampenbücher für Kinder, bei denen man mit
Lichtkegeln aus Papier Tortenstücke des Sichtbaren aus der Tiefsee
oder dem Weltall schneidet, funktionierten die Straßenlampen der
Wagnastraße bei Nacht. Ich erkannte mich selbst auf der Leinwand,
wie ich aus einem dieser hyperrealistisch scharfen Schwarz-Weiß-
Film Stills, wie man sie sonst nur vom Nachtzug aus sehen kann,
ins nächste rannte, kaum wieder. War ich der letzte Mensch auf
diesem Set? Und welcher postapokalyptische Horror lauerte dort
im Dunkel?! Nur Flaggen, untote, lautete die Antwort, und Codes,
und Hausnummern … Du bist keine Legende, und wir sind Legion.
*
Als ich auf Twitter lesen musste, dass wir, weil wir uns nun ja Tag
für Tag rund um die Uhr sähen, keine Sehnsucht nacheinander
mehr hätten, war die Sehnsucht am größten. Und sie hörte nicht
auf, selbst dann, als wir, nebeneinandersitzend, Erdäpfel schälten.
Schon immer musste man weit weggehen, um zu sich zu kommen.
Erst jetzt wurde klar, wie weit, und dass zu sich auch hieß: zu dir.
Als der Ärger am größten war, war es auch die Sehnsucht. Als die
Pfanne am schwersten wog, tat es auch die Sehnsucht. Als ich
erstmals wieder außer Haus ging, unter all die anderen maskierten
platonischen Körper, machte ich mich auf den Weg zurück zu dir.
*
Dann war es endlich wieder soweit. Die Investoren jubelten. Man
riss uns, als wären wir Bildmotive Dürers, aus der Natur. Das nicht
entfremdete, anständige Leben, in dem es uns genügt hatte, eine
Wohnung und unsere Nächsten in ihr drin zu haben, war vorüber.
Es war unser ganzes Glück zu verlernen, wie man ruhig in einem
Zimmer bleibt. Wir kurvten zum Baumarkt, bildeten Schlangen.
Die Vögel gingen auf Abschiedstournee, die Rehe schauten das
Licht, die Igel wurden mit Reifenprofilen horizontal plakatiert. Nur
das untote, stumpfsinnig repetitive, präsexuelle Leben machte, in
seinen freilich mikroskopischen Dimensionen, weiter wie bisher.
***
Der 5. und letzte Teil folgt nächste Woche!
In Zeilen wie diesen #3 (feat. Isa Riedl, Galerie Marenzi)
20+20 Zeilen aus den Zeiten, die wir gerade erleben – Teil 3 meiner Auftragsarbeit für die Leibnitzer Galerie Marenzi.
Dazu ein Gespräch mit der großartigen Grazer Künstlerin Isa Riedl, deren Arbeiten eben in der Galerie zu sehen sind. Wir sprechen über etwas, das uns verbindet: Nachtaufnahmen.
Als Leseprobe die ersten beiden der 4 vorgelesenen Texte – eine kleine Apokalypse, die in eine Utopie mündet – zum Mitlesen:
IN ZEILEN WIE DIESEN 3
*
In jenen Tagen sah ich eine Welt aus dem Meer steigen, die war
selbst wie das Meer: unvorstellbar kalt, unvorhersehbar, herzlos
rollte sie, Welle für Welle, auf uns zu. Zu Beginn der ersten Welle
schloss man zuerst die Kunst, dann die Wirtschaft – denn diese sei
systemrelevant, die Kunst nicht. So wurde die Wirtschaft, anders
als die Kunst, auch gleich wieder aufgesperrt, als die erste Welle
verflachte. Wir aus der Kunst empörten uns, jedoch vergebens.
Eingebunkert in unsere Bubbles simulierten wir noch immer mit
Bildschirmen Scheinwerferlicht, als draußen eine zweite Welle
noch einmal, härter, über die Welt und ihre Wirtschaft hereinbrach.
*
Und dies sah ich: Bei jeder neuen Welle hatte die Kunst noch zu
und die Wirtschaft schon offen, oder umgekehrt: die Wirtschaft
noch offen, die Kunst schon zu. Und dies: Nach der letzten Welle,
als die Bullaugen unseres Theatrons sich ganz ohne Erlass, ganz
zaghaft, wieder öffneten, waren alle Fabriken, Bazare, Parkgaragen
(und was sonst noch so zur Wirtschaft gehört hatte) menschenleer.
Und: Nur wir allein, die aus der Kunst, hatten die Sintflut überlebt.
Mag sein, dass uns auch Gott, wie die Welt, weil wir eben nicht
systemrelevant waren, einfach vergessen hatte. Wie auch immer.
An einem windstillen Strand nahmen wir die Masken ab, spielten.
Als Extra, zu Isa Riedls Nachtbildern der Serie „AEDON“, las ich folgendes titelloses Gedicht, das 2014 in den manuskripten erschienen ist:
Ich weiß nicht, was die Lichter dort
bedeuten. Neun sind´s, die nachts
ein Straßenstück beleuchten, den
Teilabschnitt wahrscheinlich einer
Autobahn, die wir nicht kennen …
Ich schaue immer in das gar nicht
grelle, sterngelbe Licht, bis meine
Augen brennen. Doch niemals
fährt ein Auto durchs Gedicht.
***
In Zeilen wie diesen #1
In Zeilen wie diesen #2
***
Ich danke Klaus-Dieter Hartl und Max Pratter für die gute Zusammenarbeit – bald geht es weiter!
In Zeilen wie diesen #2 (feat. Isa Riedl, Galerie Marenzi)
20+20 Zeilen aus den Zeiten, die wir gerade erleben – Teil 2 meiner Auftragsarbeit für die Leibnitzer Galerie Marenzi.
Dazu ein Gespräch mit der großartigen Grazer Künstlerin Isa Riedl, deren Arbeiten eben in der Galerie zu sehen sind. Wir sprechen über etwas, das uns verbindet: (Bilder von) Einfamilienhäuser(n).
Zur leichteren Verständlichkeit der gelesenen Passagen (allem, was in der Galerie Marenzi passiert, widerfährt gewaltiger Nachhall!), hier der Text zum Mitlesen:
***
IN ZEILEN WIE DIESEN 2
*
In jenen Tagen boomte die Gattung Tagebuch. Das verschärfte
natürlich die Krise, zumal bei Schriftstellern wie mir, deren Bücher
schon davor Tagebücher gewesen waren. Bald würde man wohl
einen Roman schreiben müssen, um als formal originell zu gelten!
Vorerst aber käuten wir alle täglich dieselben Schlagzeilen wieder.
Gemeinsam entdeckten wir etwa Banksys neues Bild. Es zeigte
einen Superhero, der war weder Bat- noch Gürteltierman, sondern
eine anonyme Krankenschwester in Supermanpose. Alle auf der
Station jubelten. Erst als einer rief, auch Banksy habe damit einfach
nur sich selbst dargestellt, löste die Polizei die Versammlung auf.
*
Nein, es war nicht die Zeit, Verschwörungstheorien zu verbreiten.
Aber wirkte es denn nicht suspekt, dass just jener Kanzler, von dem
ein späterer Literaturnobelpreisträger schon vor Jahren gesagt
hatte, er ähnle einer der Masken aus Gummi, die sich Bankräuber
übers Gesicht ziehen, nun eine ausgeweitete Maskenpflicht ausrief?
Kein Wunder, dass alle dieselben Alpträume kriegten: War man
früher vor Un-Toten geflüchtet, so waren es nun Un-Maskierte, die
einen verfolgten … Wir Kunstschaffenden freilich hatten auch dies
längst vorhergesehen. In meinen eigenen Träumen (= Büchern) z.
B. trugen die Leute, und zwar alle, seit jeher schon keine Masken.
*
Auch Einfamilienhäuser sind Menschen, und ich war nicht allein,
wenn ich am Abend Richtung Wagna joggte. Der eine blinzelte
mir, aus geröteten Bewegungsmeldern, argwöhnisch entgegen, der
andere schloss die Rouleaus vor Angst, und dieser hier, hinter
seinem Quarantänevollbart aus Thujen, knurrte mich sogar an.
Und doch, welch Glück, gesehen zu werden (oder zumindest:
beobachtet)! Und Menschen zu sehen – selbst solche, steif und von
geradezu rührend altmodischer Abgründigkeit: „Gestatten, Riedl!“
„Hopper, angenehm!“ „Na, und wer bist du?“ „Ich bin der kleine
Psycho!“ – Menschen zu sehen, also: Mensch, was für ein Glück!
*
In Frankreich hieß es: état de guerre sanitaire. Dort reimte sich
wieder alles – wie bei Baudelaire die Ästhetik des Hässlichen. Von
Flaubert und seiner noch nervöseren Poetik der Gehässigkeit ganz
abgesehen. Aber, bei aller décadence, am Ende war es dann doch
nur eine Frage, die zählte: L´état de guerre sanitaire, c´est moi?
Und die, wie alle FAQs, ist sociale … Und während „wir“ im
Frühjournal kaum noch ins Ausland kamen, während le village
global so rasch wuchs wie der Ölpreis fiel, zogen die banlieues im
selben Maß, mit dem ihr body count jenen des XVIème Arr. hinter
sich zurückließ, ihren Belagerungsring enger um die/das capital€.
***
Aus der Serie „Mutationen“ von Isa Riedl:
Mehr Fotos von den Dreharbeiten in der Galerie Marenzi …
In Zeilen wie diesen #1 (feat. Galerie Marenzi)
20+20 Zeilen aus den Zeiten, die wir gerade erleben – Teil 1 meiner Auftragsarbeit für die Leibnitzer Galerie Marenzi.
Dazu ein in Zeiten des (eingebildeten) Lockdown-Müßiggangs übersetzter Song (Original von Conor Oberst, „Gossamer Thin“).
Produziert/kuratiert von Klaus-Dieter Hartl (Galerie Marenzi), gefilmt von Max Pratter in der Galerie Marenzi, wo eben die Ausstellung von Isa Riedl läuft, zu sehen auf dem YouTube-Kanal von Leibnitz Kult:
Der Ton ist noch nicht perfekt – hier zur leichteren Verständlichkeit bis zum Erscheinen der zweiten Folge der Text zum Mitlesen:
***
IN ZEILEN WIE DIESEN
In jenen Tagen aber sah ich ein Tier aus meiner Timeline steigen,
das hatte weder Häupter noch Hörner, trug dafür eine Art Krone –
aus Klopapier oder aus der Façon geratenem Haar. Und doch war
es zweifellos jenes, über das der sonst so unapokalyptische Dichter
Catull gemeint hatte, es habe schon könige und blühende länder
völlig vernichtet … Und auch Sie, geneigte/r Zeitzeuge/in, passen
ins Beuteschema des Tiers, auch Sie tragen womöglich schon sein
Malzeichen (auf der Stirn, in der Lunge?). Und gewiss hängt Ihnen
sein Name längst zum Ohr heraus. Er lautet: otium (= Müßiggang,
Ruhe, Lockdown: viel Zeit, um müßige [sinnlose] Dinge zu tun).
*
In Zeiten wie diesen posierten Betriebswirte in ihren Penthouses
als Der arme Poet, die Nachbarin strich ihre frisch gestrichenen
Fensterläden, und nur der Landtagsabgeordnete aus der party der
Fleißigen ging weiter aus, verließ seine Geheimfinca, wankte der
vorfahrenden Polizeistreife entgegen. Weil er das Auto für bestellte
Pizzen hielt? Ja, aber es schwebte doch auch etwas Gewichtigeres
in den Aerosolen … Ich verlachte diese Possen, neidete den Kunst-,
Kinder-, Homeofficelosen aber bald ihr Zuviel an Zeit. Und so
machte ich mich selbst an die „Arbeit“, spiegelte einen Song aus
glasklarem Amerikanisch in meinem trüben, zerkratzten Deutsch.
**
Es fuhren kaum Autos, aber wenn einen dann doch eines überholte
(in der Wagnastraße etwa, abends, beim Joggen), wurde wieder
klar, wie laut so ein Auto eigentlich ist. Und: wie sehr es stinkt.
Aber es fuhren ja kaum Autos, und wenn, dann waren es keine
echten Autos, sondern bestellte Pizzen. Pakete. Ein Taxi. Ein Igel
spazierte nachdenklich die Leitlinie entlang … Kaum Autos also,
und wenn doch eines vorbeidröhnte, überwog die Erleichterung.
Worüber? Über die alte Abnormalität: den Lärm, den Rauch! Nun
endlich konnte man (ohne dass Hunde und Lichter ansprangen:
Alarm!) zwang- und hemmungslos, vogelfrei (wie früher!) husten.
*
Nach außen hin hielten wir uns an die Vorschriften, insgeheim aber
bereiteten wir uns vor, wieder und wieder in Wasser zu ertrinken.
Dazu hatte das Mail eines berühmten Dichters geraten, das ein noch
berühmterer bald als Kettenbrief entlarvte. Ab da trugen die Wörter
Masken (Max Sessner) … Ich verstand in der Angstzeit statt: in der
Amtszeit, tippte in der Stummung statt: in der Stimmung, las statt
ab Montag: ab Nontag. Was nun richtig war und was falsch, war,
wenn überhaupt, erkennbar nur noch beim Homeschooling. Wer
eine Maske trägt, hat Gold im Mund? Falsch! Richtig: Wer eine
Maske trägt, kann nicht erwarten, dass man seine Tränen sieht.
***
Ich danke für den Auftrag sowie Klaus-Dieter Hartl und Max Pratter für die gute Zusammenarbeit – bald mehr!
***
Ach ja, der Song!
Das Original stammt, wie gesagt, von Conor Oberst, heißt „Gossamer thin“ und findet sich auf den Alben „Ruminations“ und „Salutations“.
Ich habe mit 16 oder 17 erkannt, dass es völlig sinnlos ist, Songs aus dem Englischen, das ohnehin jeder versteht, 1:1 ins Deutsche zu übersetzen … In Zeiten wie diesen habe ich aber einmal eine Ausnahme gemacht.
SPINNWEBENDÜNN
Ringe um die Augen
Spuren am Arm
Seine Fans schlagen Schaum, seine Freunde Alarm
Seine Frau sagt kein Wort
Doch sie hasst´s, wenn er fort ist
Sie zählt jeden Rock in seiner neuen Gefolgschaft
Und die sind spinnwebendünn,
Alternativ, Bohèmiens
Und sie tanzen, walzen mit Stil
Sie wirbeln herum, knicksen und kichern viel
Lehnen an seinem Knie, lesen nur Poesie
Und sie widersprechen ihm nie
Sie glaubt an den Papst
Und nicht an den Teufel
Sie treffen sich in einem geheimen Hotel
Sie spielt mit seinem Haar
Und sie küsst seinen Hals
Wenn sie schreit, klingt es lustvoll, wenn sie stöhnt nur nach Angst
Und hej, was geht es mich an
Dass sie mehr als einen Mann lieben kann
Doch sie sind spinnwebendünn
vom Abgund entfernt, hängen am letzten Zwirn
Strapazieren ihr Glück, über Gebühr,
Weil man voll riskiert, wenn man liebt
Ist das eine Art Bewusstseinserweiterung
Dass mein Bier zittert in meiner Hand?
Bleibt das so? Nun, ich werd mich gewöhnen dran
Ein Blumenstrauß nur, den man neu arrangiert
Ich hab keinen Hunger, will nicht aus dem Haus
Ich denke an das, was man Therapeut weiß
Das höhere Selbst und das Es und das Ich
Und du bist wer du bist, und du bist es auch nicht
Aber ich bin spinnwebendünn
Wie der Delicate Arch, feingeschliffen vom Wind
Es steht eine Glas-Psyche am Spiel
Wirf rüber den Ziegel, mal sehen, was passiert
Denn das Hirn und der Geist sind ja nicht ganz das Gleiche
Doch sie wollen beide weg von hier
***
Fotos von den Dreharbeiten, (c) Klaus-Dieter Hartl, an der Wand Arbeiten von Isa Riedl:
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