Andreas Unterweger

Surfer entre les langues, Paris

Posted in Das gelbe Buch, gedichte, Le livre jaune, Simulakren, So long, Annemarie, Tingeltangel-Tour by andreasundschnurrendemia on 16. März 2024

Neulich in L’ours et la vieille grille, dem Verlagsbistro samt Buchhandlung meines französischen Verlags Éditions LansKine:

(c) Guillaume Métayer: das Foto zeigt die Mur während seines Aufenthaltes als Styria-Artist, davon mehr hier, hier und hier.

Uns drei Lesende verbindet nicht nur das jeweils andere „Surfen“ zwischen den Sprachen – Sophia schreibt auch auf Französisch, Guillaume und ich übersetzen und thematisieren das jeweils Andere in unseren Texten -, sondern vor allem auch die manuskripte. Von meinem Verwachsen mit der Grazer Literaturzeitschrift weiß man ja, und sowohl Sophia als auch Guillaume haben dort mehrmals veröffentlicht und bei Präsentationen gelesen (Sophia mit ihrem Debüt, Guillaume mit seinem deutschprachigen Debüt und anderem Schönen mehr).
Insofern stellte die Lesung auch eine manuskripte-Präsentation dar.

Nach der Begrüßung durch den Schriftsteller und Herausgeber Paul de Brancion, eröffnete der Dichter, Geisteswissenschaftler und Übersetzer Guillaume Métayer den Abend mit einer spontanen, aber gewohnt geistreichen Moderationsrede, las die Prosa „Intermezzo“ aus manuskripte 235 und Gedichte, die in seinen Gedichtbänden „Fugues“ (Deutsch: „Simulakren„, Yara 2016) und „Mains positives“ (druckfrisch, bei La Rumeur libre!) erschienen sind. Ich steuerte jeweils die Übersetzung bei, bevor der „Salamander“ aus Guillaumes Prosagedicht eleganterweise in mein Gedicht „Palaia“ hinüberlief.
Anschließend las ich die Kapitel „‚Castor‘ und „Deuxième souffrance (‚Sauce tomate‘)“ aus „Le Livre jaune“ (LansKine 2019), der französischen Übersetzung von „Das gelbe Buch“ (Droschl 2015) durch den ebenfalls anwesenden Übersetzer Laurent Cassagnau, diekt auf Französisch sowie die Gedichte „St. Wolfgang mit einer Axt in der Hand“ (aus der demnächst erscheinenden globalen Lyrik-Anthologie „La poésie du Louvre“, Seghers 2024) und die Verlaine-Paraphrase „Häuser-Zeilen“ (auf Französisch erschienen in Place de la Sorbonne 10) im deutschen Original, begleitet von Guillaume Métayers Vortrag seiner Übersetzungen.
Zum Abschluss präsentierte Sophia Schnack ihren Debütroman „feuchtes holz“ (Otto Müller 2023) und zweisprachige Gedichte.

Neben Catherine Tourné und Paul de Brancion (oben ganz rechts) von Édition LansKine gilt mein Dank:
Sophia Schnack für ihre Initiative,
Guillaume Métayer, der den Großteil der Organisation sowie die Unterbringung und Animation des betreungsintensivsten österreichischen Schriftstellers übernommen hat (s. auch ganz u.),
der leider verhinderten, aber ursprünglich auch für die Lesung vorgesehenen Dichterin Laure Gauthier für ihre organisatorische Hilfe am Anfang,
dem Österreichischen Kulturforum in Paris, insbesondere Direktorin Julia Thallinger und Almuth Habacher, für das freundliche Zusammentreffen und die große Unterstützung …

… und dem aus zahlreichen Ländern und Sprachen erschienenen Publikum! Darunter auch die deutschen Lyriker Eric Ehrhardt und, unten links auf dem Foto, Yevgeniy Breyger (der manuskripte-Preisträger ist eben als poeta laureatus der Universität Sorbonne in Paris):

(c) Laurent Cassagnau

Paris ist freilich ein Fest für mehr als einen Abend. Es folgt meine zwei Tage und zwei Nächte währende Reise in und durch diese Stadt fürs Leben im fotografischen Schnelldurchlauf:

So long, la France!

Mein großer Dank gilt meinem lieben Freund, Guillaume Métayer, und seiner Familie, die mich im eigens eingerichteten „Dichterzimmer“ ihres wunderschönen Zuhauses untergebracht und so aufmerksam umsorgt haben: merci beaucoup, meine Lieben!

Guillaume Métayer, „Blicke“: Gedicht von heute (Poesiegalerie v. 23.03.2021)

Posted in Simulakren by andreasundschnurrendemia on 23. März 2021

Guillaume Métayers Gedicht „Regards“ ist im französischen Original und in meiner Übersetzung („Blicke“) als Gedicht von heute“ in Udo Kawassers lobenswerter Poesiegalerie ausgestellt (zum Lesen hier oder auf das Bild klicken):

„Ochsenauge“ wird übrigens nicht nur das Auge eines Ochsen genannt, sondern auch eine Blume, ein Schmetterling und vor allem: eine Fensterform.

Weitere Gedichte Guillaume Métayers, die ich übersetzt habe, finden sich im Gedichtband „Simulakren“ (Yara 2016) oder in manuskripte 192, 201 und 224.
Ebenso lesenswert Métayers Essays „Von unserem Sonderberichterstatter in Poesie“ (manuskripte 218) und „Meine Begegnung mit Alfred Kolleritsch“ in manuskripte 229.

Weitere Informationen zu Guillaume Métayer auf Poesiegalerie und auf dieser Homepage.

 

Danke, lieber Udo Kawasser, liebe Bea Schmiedl,
danke, lieber Guillaume, für Dein Vertrauen!

 

(c) Aleš Šteger

 

Landes Kunst und Kultur Preise 2019

Posted in manuskripte, Simulakren, Tingeltangel-Tour by andreasundschnurrendemia on 20. November 2019

Eine ebenso passende wie erbauliche Reiselektüre: Auf dem Weg nach Brüssel, wo ich morgen im Steiermark Büro den Autor und Fotografen Christoph Dolgan und seine in manuskripte 226 enthaltenen spektakulären Ruinenfotos samt kongenialem Begleittext präsentieren darf (Art Steiermark 2019), studiere ich die äußerst lesenswerte Publikation zu den Kunst- und Kulturpreisen des Landes Steiermark!

Ich gratuliere allen PreisträgerInnen herzlich, insbesondere Gerhild Steinbuch zum manuskripte-Preis …

Nava Ebrahimi zum Morgenstern-Preis …

… und Guillaume Métayer noch einmal zum Styrian Artist-Stipendium!

Die Kleine Zeitung über die Preisverleihung am Montag im Orpheum:

„Ohne Graz wäre die Dichtung ein Irrtum“ in „Das rote Mikro“

Posted in Poèmes, Simulakren, Tingeltangel-Tour by andreasundschnurrendemia on 1. September 2019

Am Montag, 02.09.2019, 20:00, sendete Barbara Belic auf Radio Helsinki in ihrer Sendung „Das rote Mikro“ den Mitschnitt der früh zur Legende gewordenen Sommerlesung in Angelika Schimuneks „Bücherstube“

… mit dem damaligen Styrian Artist des Landes Steiermark Guillaume Métayer, der damaligen Grazer Stadtschreiberin Kinga Tóth und dem damaligen Andreas Unterweger, der sich vom heutigen kaum unterscheidet.

HIER DER LINK ZUR SENDUNG!

Barbara Belics Ankündigungstext:
„„Ohne Graz wäre die Dichtung ein Irrtum“ war das Motto einer kurzweiligen Lesung im Freien in der Grazer Altstadt. Auf dem kleinen Platz vor Angelika Schimuneks Bücherstube lasen Kinga Tóth aus Ungarn, Grazer Stadtschreiberin 2018/19, Guillaume Métayer aus Frankreich, damals Styrian Artist in Residence, und der Autor und manuskripte-Mitherausgeber Andreas Unterweger, der auch als Moderator auftrat. Auf dem Programm standen Maislieder, ein Backhendl-Essay und andere Liebeserklärungen an, von und aus Graz. Zudem gab es Gedichte von Friedrich Nietzsche, die Guillaume Métayer ins Französische übertragen hat. – Alle Texte wurden auf Deutsch und in der Originalsprache gelesen, um ein Gefühl davon zu vermitteln, wie sie in der Sprache klingen, in der sie geschrieben wurden.“

Und wie Barbara Belic noch meint: „Für diejenigen, die bei der Lesung waren und nicht gut gehört haben, wäre die Sendung eine ideale Gelegenheit, doch noch alles zu verstehen.“

Und wie ich meine: Diejenigen, die nicht bei der Lesung waren, werden erst recht Ohren machen!

Vielen Dank für Deine Mühe, liebe Barbara!

Tour de Styrian Artist 2019

Posted in Poèmes, Simulakren, Tingeltangel-Tour by andreasundschnurrendemia on 8. August 2019

Zwei Monate lang war ich nun der offizielle Wingman eines waschechten Styrian Artist in Residence des Landes Steiermark, des Dichters, Übersetzers, Geisteswissenschaftlers und mitteleuropäischen Gesamtgenies aus Paris, Frankreich: l´unique Monsieur Guillaume Métayer!

Der Artist, der im Priesterseminar göttlich untergebracht war, nutzte seinen Aufenthalt nicht nur zu intensiver literarischer Arbeit über Graz und seine Kaffeehäuser, sondern auch zu mehreren Arbeitsreisen durch Mitteleuropa (Maribor, Ljubljana, Zagreb, Bratislava, Wien, Leibnitz, Weststeiermark etc.) und einigen viel beachteten Auftritten.

Den ersten Höhepunkt stellte ein literaturwissenschaftlicher Vortrag an der Romanistik der Karl-Franzens-Universität Graz dar, den er am 7.6. gemeinsam mit Alexandre Gefen, seinem Kollegen vom Centre National de la Recherche Scientifique an der Sorbonne, hielt.

Das äußerst unterhaltsame Thema: Die französische Gegenwartsliteratur.

(V.r.n.l.: Gefen, Steffen Schneider, Métayer)

Alexandre Gefen thematisierte die Entwicklungen in der Prosa, Guillaume Métayer jene in der Lyrik – hier mehr zum Inhalt.
Anschließend vertiefte sich Alexandre Gefen in Gedichte aus Österreich:

Vielen Dank an Astrid Poier-Bernhard und Steffen Schneider von der Romanistik für die geglückte Organisation!

*

Nach mehreren kleinen Reisen durch den steirischen Spätfrühling …

… allerlei interessanten Begegnungen, wie etwa dieser folgenschweren mit der Grazer Stadtschreiberin Kinga Tóth

… und allerlei feldforschenden Aktivitäten …

 

… begaben wir uns am 22.6.auf die Reise nach Ljubljana.

Wir besuchten die Übersetzerin und Lyrikerin Urška P. Černe in Maribor, übersetzten – wie schon 2017 – am Trojane-Pass aus dem Deutschen ins Französische …

… und aus dem Französischen ins Deutsche …

(c) Guillaume Métayer

(c) Guillaume Métayer

… und trafen in Ljubljana den weit über die Grenzen Sloweniens hinaus bekannten Schriftsteller und Literaturorganisator Aleš Šteger:

(c) Guillaume Métayer

In der beeindruckend schönen Bibliothek des leider schon verstorbenen Dichters Tomaž Šalamun

… las Guillaume Métayer Gedichte aus seiner jüngst erschienenen Übersetzung der gesammelten Gedichte Friedrich Nietzsches (in Form, sprich: Reim!), die auch im Bezug auf die deutsche Edition neue Maßstäbe setzt, sowie eigene Gedichte aus seinen Gedichtbänden „Fugues“, „Libre jeu“ und „Simulakren“:

Ich las Nietzsches Nachdichtungen von Métayers Übersetzungen sowie Gedichte aus meinem Gedichtband und meinem Handy:

(c) Guillaume Métayer

Und unser Gastgeber Aleš Šteger las die slowenischen Übersetzungen und performte ein Gedicht von Tomaž Šalamun:

Der hier noch volle Büchertisch leerte sich anschließend rapide!

Vielen Dank für diesen schönen Abend, lieber Aleš!

Und ich danke auch dem Österreichischen Kulturforum in Lijubljana

… sprich: Direktor Andreas Pawlitschek und Marjeta Malus, herzlich für die freundliche Betreuung und Unterstützung meines Aufenthalts!

*

Am nächsten Tag ging es über die bewährte Arbeitsstation …

(c) Guillaume Métayer

… zurück nach Graz, wo den Artist das nächste Highlight erwartete:

Drei Gedichte von Guillaume Métayer in meiner Übersetzung erschienen in Heft 224 der manuskripte. Bei der Präsentation der Ausgabe am 26.06. in der Steiermärkischen Landesbibliothek las Schauspielerin Sarah Sophia Meyer das Sonett „FB World“:

 

Der Text zum Nachlesen und mehr dazu hier.

*

Der Juli stand zunächst im Zeichen ruhiger und konzentrierter Schreibarbeit und Recherche in Graz.

Guillaume Métayer beschäftigte sich intensiv mit der österreichischen Kaffeehauskultur und -literatur – er arbeitet(e) an einem Buch zum Thema. Ein Besuch im Café König durfte nicht fehlen:

Mitte Juli reiste Guillaume Métayer nach Bratislava, wo er mit slowakischen Kolleginnen an einer Anthologie slowakischer Lyrik in französischer Übersetzung arbeitete, die er demnächst in Paris herausgeben wird.

Ich folgte ihm am 18.7. durch atemberaubende Landschaften …

… ins schöne Bratislava:

Dort fand im renommierten Literárne informačné centrum diese prächtig besuchte Veranstaltung statt:

Mit Mária Ferenčuhova, Nóra Ružičkova, Katarína Kucbelova, Peter Šulej, Michal Habaj, Agda Bavi Pain und Silvia Majerská lasen einige der wichtigsten Stimmen der slowakischen Gegenwartslyrik, andere wichtigste saßen im Publikum, dazu gesellten sich als Lesende Guillaume Métayer und ich (zum ersten Mal in meinem Leben ein „speciálny host“!) mit eigenen Texten.
Ich danke Silvia Majerská (u. r.) herzlich für die Übersetzungen meiner Gedichte ins Slowakische!

 

(c) Marcela Mokranova, Österreichisches KF Bratislava

(c) Marcela Mokranova, Österreichisches KF Bratislava

Gastgeberin und Moderatorin Miroslava Vallova, (c) Marcela Mokranova, Österreichisches KF Bratislava

Ich danke dem Österreichischen Kulturforum in Bratislava für die Unterstützung …

… und Direktor Wilhelm Pfeistlinger und Marcela Mokranova für die nette Betreuung und die tollen Fotos!

Nach der Lesung: Interviews aller DichterInnen mit dem slowakischen Rundfunk …

… interessante Gespräche …

und viele neue Eindrücke!

Auch die Rückreise am nächsten Tag gestaltete sich ebenso eindrucksvoll wie arbeitsreich:

Zurück in Graz begannen dann die intensiven Vorbereitungen auf Guillaume Métayers große Abschiedslesung in Graz.

Es war Guillaume Métayers hervorragende Idee, sie in bzw. vor Angelika Schimuneks zauberhafter Bücherstube

… stattfinden zu lassen, die Grazer Stadtschreiberin Kinga Tóth

(c) Kinga Tóth

… war sein Wunsch-speciálny host, er gewann die Styrian Artists in Residence Dan Lahiani und Nadia Guerroui für das Veranstaltungsfoto bzw. Flyerdesign (s.u.) und auch der Titel für die Lesung, eine Nietzsche-Paraphrase, stammte von ihm:

Von mir hingegen die B-Seite des Titels: Ohne die Dichtung wäre Graz ein Uhrturm!

Wochenlang tauchten Guillaume und ich also regelmäßig wie die Tanzfiguren des nahen Glockenspielplatzes teilweise mehrmals täglich in der Tür zur Bücherstube auf, mit neuen Fragen und Vorschlägen …

… bis die Kronen Zeitung am 23.7. endlich berichten konnte:

Unser großer Dank gilt Angelika Schimunek, die sich mit enormem Einsatz auf die Herausforderung eingelassen hat und gemeinsam mit ihrem Kollegen Werner eine märchenhafte Leselocation auf die Beine stellte!

Lesen Sie hier den großen Bericht über diese Lesung, mit allen Fotos und Fotocredits!

(Der Grazer v. 28.7.19)

Mein lieber Guillaume,

hab Dank für diese ebenso zwei ebenso fröhlichen wie kreativen Monate!

Wenn du das Glück hast, als junger Artist in Residence des Landes Steiermark in Graz gelebt zu haben, dann trägst du die Stadt für den Rest deines Lebens in dir, wohin du auch gehen magst, denn Graz ist ein Fest fürs Leben.

Und notfalls bleibt uns immer noch Paris.

So viele süße Erinnerungen – ich freue mich schon auf unsere nächsten Abenteuer!

(c) Aleš Šteger

Und besten Dank für den Auftrag und die gute Zusammenarbeit, liebe Leute vom Land Steiermark

… insbesondere Christiane Kada!

Ohne Graz wäre die Dichtung ein Irrtum! (Lesung Bücherstube)

Posted in Grazer Glossen, manuskripte, Poèmes, Simulakren, Tingeltangel-Tour by andreasundschnurrendemia on 21. Juli 2019

Nachtrag zum Termin:
24.07.2019, 17:00, Styrian Artist in Residence Guillaume Métayer und Andreas Unterweger lesen Gedichte von Friedrich Nietzsche und eigene Texte. Special guest: Kinga Tóth. Anschließend Prosecco und Knabberei. Bücherstube, Prokopig. 16, 8010 Graz.

Was auf dem von den Styrian Artists in Residence Nadia Guerroui (Design) und Dan Lahiani (Foto) gestalteten Flyer so …

 

… und in der Steirerkrone so angekündigt wurde …

… sah in Wirklichkeit so aus:

Angelika Schimunek von der allzeit besuchenswerten Bücherstube baute mit ihrem Kollegen einen märchenhaft charmanten kleinen Lesesaal auf, dessen verzauberte Decke den blauen Himmel zeigte …

Im Backstagebereich machte sich schon das Buffet bereit …

Großer Publikumsandrang! Zusatzstühle! Danke fürs Kommen, liebe Leute!

Ich begrüßte und dankte:

(c) Barbara Belic

 

Guillaume Métayer las Texte über Graz, darunter Auszüge aus dem „Backhendlessay“ in manuskripte 218 und mehrere seiner vielbeachteten Nietzsche-Übersetzungen ins Französische:

 

Gott ist Tóth, es lebe die Kinga! Und so trug Kinga Tóth ihre Mais- und Marienlieder vor:

(c) Barbara Belic

Kinga Tóth und Guillaume Métayer lasen simultan auf Deutsch und Ungarisch – Kinga die deutsche Übersetzung, Guillaume, als mitteleuropäisches Gesamtgenie, das ungarische Original!

(c) Barbara Belic

Ich las „Die Schlange“ aus meinem Gedichtband

(c) Barbara Belic

… und das Dramolett „Wie schön wir es haben könnten“ aus „Das schönste Fremde ist bei dir“:

(c) Literaturverlag Droschl

Anschließend mitteleuropäische Begegnung bei Prosecco, Keksen und Gebäck – plus Signierstunde!

Ich danke allen Beteiligten herzlich, insbesondere Angelika Schimunek, Kinga Tóth , allen Fotograf*innen des Abends und Barbara Belic, deren rotes Mikro zu Aufnahmezwecken immer gut im Bild war – laut vorläufiger Planung wird der Mitschnitt des Abends am 2.9., 20:00, in ihrer Literatursendung „Das rote Mikro“ auf Radio Helsinki gesendet.

Und so begeistert berichtete Philipp Braunegger in „Der Grazer“ vom 28.07.19 (danke!) – mit Wortspenden von Angelika Schimunek und Fotos von Barbara Belic sowie Literaturverlag Droschl:

Fazit: Ohne Dichtung wäre Graz ein Uhrturm!

 

Guillaume Métayer: Drei Gedichte (manuskripte 224)

Posted in manuskripte, Simulakren, Tingeltangel-Tour by andreasundschnurrendemia on 27. Juni 2019

Mein persönlich(st)er Beitrag zu Heft 224 der manuskripte sind diese Übersetzungen dreier Gedichte von Guillaume Métayer, zurzeit Styrian Artist In Residence des Landes Steiermark.

Während Guillaume Métayer in Frankreich eben mit seiner Übersetzung der gesammelten Gedichte Friedrich Nietzsches (in Form, sprich: Reim!), die auch im Bezug auf die deutsche Edition neue Maßstäbe setzt, große Erfolge feiert (s. etwa Rezension in Libération oder Le nouveau magazine littéraire) …

 

(Foto: lesbelleslettresblog)

… ist er hierzulande hauptsächlich als Dichter bekannt. Dies mag an seinem Gedichtband „Simulakren“ (Yara 2016) ebenso liegen wie an seinen Veröffentlichungen in den manuskripten (z. B. der Essay „Von unserem Sonderberichterstatter in Poesie“, manuskripte 218) und seinen Aufenthaltsstipendien im Rahmen des Styrian Artist in Residence-Programms (2017 und 2019).

(Der junge Nietzsche und sein Übersetzer [v.l.n.r.])

Für die eben erschienenen manuskripte 224 habe ich drei neue Gedichte übersetzt, die Métayers lyrische Bandbreite skizzieren – vom zeitkritischen, ebenso ironischen wie formvollendeten Sonett über die kurze subjektive Reflexion bis zum epischen Langgedicht à la István Kemény (den Métayer ins Französische übersetzt):

 

 

FB WORLD

 

 

Wir haben erfunden: das Buch der Gesichter

wo jedes Maul wie eine Flaschenpost ist

Wir sind alle zu schön jeder ein Spezialist

darin nett großzutun bei der Jagd auf Irrlichter

 

Seht hier unsere Posten und Pfoten und Dichter

unser bestes Profil Kleinkram der uns anpisst

Aber weil zurückschnellt was nicht abwürgbar ist

kommt unsere Traurigkeit hoch vor die Richter

 

Die Glätte des Bildschirms bietet keinen Stopp

Wir sind hier gefangen im großen Als-ob

beim Casting für ein terroristisches Stück

 

Trauerweide von Pest als Baum unsrer Ahnen

Passfotos wie Aschenfahnen

Fajumporträts sind wir Untote vor Glück

(Schauspielerin Sarah Sophia Meyer liest „FB World“ bei der Präsentation der manuskripte am 26.06.19 in der Stmk. Landesbibliothek, (c) manuskripte)

 

 

Recht

 

 

Papier Gewalt

Die in Wettbewerb tritt mit dem Gewicht eines Kindes

Tintenseerose

Die all die Zimmer füllt, all meine Zeit.

Verlorenes Juwel

Am Grunde eines Brunnens des Argwohns.

Tunnel der Pflichtfigur

Für den Vitruvianischen Menschen in seinem Spinnennetz.

 

 

 

 

Von einem nuklearen Epos

 

 

Rauch zwischen dem roten Blinken,

Aber die Installation ist nicht in Gefahr.

Das Wasser bleibt glatt, die Leere und die Wand intakt.

Im einzigen Strahl eines schüchternen Mondes

Badet die Spitze eines Zeigefingers,

Beladen mit unendlich codierten Wellen,

Vertrautes Labyrinth, Rivale trüben Wassers,

Milchstraßen, die sich in schwarze Löcher knüllen,

Sandrosen des Himmels …

Dieser Finger, der sich da windet, ähnelt

Einem jener Fische, die zum Licht hochschwimmen,

Wie in einem aufsteigenden Tanz, einem Karussell

Der Kegel, der Marionetten, deren Fäden das Licht wären

Und deren Magnet der Mondstein.

Oder der alte Bärtige, der diesen anstößigen Finger

Beunruhigt, dann befriedigt untersucht,

Erst ganz still, dann mit einem murrenden Sermon

Sicher stellt, dass seine unzähligen taktilen Kanäle

Ihren Platz auf seinem Zeigefinger eingenommen haben: er macht sich bereit, von der Höhe

Des Damms die längste Angel der Welt auszuwerfen,

Ganz hinunter, ganz hinunter, weit weg von diesem Rauch hier,

Der ganz hinauf, ganz hinaufsteigt, auf diesen Mond zu

Und dem Himmel gegenüber, die Hand in der Leere, fühlt er, wie

In Extase, weit weg, das Abendessen zappeln. Danach, es hinaufziehen,

Vorsichtig, über mehrere hundert Meter.

Dann essen, schlafen gehen, wie üblich,

Gemäß der persönlichen Philosophie des Hosha Suru,

Nach der die geringste falsche Bewegung

Einen Sturz aus dreihundert Metern zur Folge hat und den Tod,

Unweigerlich. Ideal einer absoluten Selbstbeherrschung,

Wo das geringste Stampfen für den Schläfer tödlich sein kann,

Außer wenn er in seinem Fall die raue Wand zu krallen kriegt

Und Halt findet in dieser Mauer ohne Griff, deren

Geringste Reliefs für Riesen bemessen zu sein scheinen.

So, mit dem fernen Schnee der Berge als Decke

Und dem blauen Himmel als Schal, nistend

Über diesen verlassenen Amphitheatern,

Diesen Gavarnie´schen Karen, die eine übermenschliche Technik

Von Insel zu Insel säte, als wahrer

Floh auf so manchem Argus aus Beton mit blinkenden Augen,

So lebt seit über zwanzig Jahren Hosha Suru,

Der Verstrahlte.

*

Die manuskripte 224 sind u. a. im manuskripte Webshop erhältlich!

France Culture

Posted in manuskripte, Simulakren, Tingeltangel-Tour by andreasundschnurrendemia on 4. März 2018

Nachzuhören für immer:
05.03.2018, 22:15, Guillaume Métayer spricht mit dem Philosophen Fréderic Worms über seine Reisen durch Mitteleuropa und liest dabei, u. a., Gedichte von Andreas Unterweger.
France Culture Radio (hier zu hören!).

Originaltitel der Sendung: „En compagnie des poètes européens, libres passeurs“ – also so was wie: „In der Gesellschaft europäischer Dichter, freier Schmuggler“. Untertitel: Frédéric Worms im Gespräch mit Guillaume Métayer, Übersetzer, Dichter und Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Po&Sie“.

Ein hirnerfrischend intelligentes, herzerwärmend sympathisches Gespräch, das inhaltlich über weite Strecken Métayers Essay „Von unserem Sonderberichterstatter in Poesie“ folgt, in dem er von seinen Erfahrungen als Styria Artist in Residence 2017 berichtet, und den ich für Heft 218 der manuskripte übersetzt habe. Über die Lesung und Diskussion zweier meiner Gedichte* habe ich mich natürlich besonders gefreut.

Hier ein paar Splitter der umfassenden Ankündigung auf France Culture (mit Foto der Murinsel!):

„Was ist das, ein Dichter im Europa von heute? Um das zu erfahren, ist Guillaume Métayer, ein großer Nietzsche- und Voltaire-Spezialist und selbst ein Dichter, durch Mitteleuropa gezogen, immer entlang des Flusses Mur, den man ausspricht wie „l´amour“ (die Liebe), obwohl er er wie „le mur“ (die Mauer) geschrieben wird (…)
Auf die Frage, was das denn sei, „ein europäischer Dichter“, ist seine Antwort einfach: „Ein Schmuggler.“

[Gullaume Métayer weiter:] „´Ich glaube, dass man sich immer noch durch Europa bewegen und dabei Dinge entdecken kann, die man nicht zwingend sieht. Es gibt das Phänomen einer unfreiwilligen Verdunklung gewisser europäischer Errungenschaften. Man findet oft düstere Ideen über Europa, aber tatsächlich gibt es enorm viele Talente in Europa, passionierte Dichter, die arbeiten, die sich gegenseitig übersetzen. Es gibt eine Republik des Geistes, die existiert, die Skype verwendet, die ein extrem lebendiges Netzwerk bildet. Aber diese erfreulichen Aspekte werden verdrängt. Ich habe den Eindruck, dass man sozusagen in der Vorstellung lebt, dass nichts mehr passieren wird und dass Europa nur noch eine Karikatur seiner Vergangenheit darstellt.´
#Andreas Unterweger #tournesols #Kolleritsch“

Für mich sind das sehr bewegende Worte. Ich lebe in dieser „République des lettres“. Hier ein paar Fotos aus dem Landesinneren:
Guillaume Métayer, Aleš Šteger und ich lesen dreisprachig in Ljubljana:
Métayer und ich übersetzen uns gegenseitig am Trojane-Pass:
In einem privaten Mail hat Guillaume die Sendung übrigens so angekündigt:

„Frédéric Worms ist ein sehr intelligenter Philosoph, ein Bergson-Spezialist, vor allem. Er versteht alles. Er hat deine Gedichte* sehr gelobt, wir hatten eine Diskussion darüber, ob sie von den Geistern der Vergangenheit beherrscht seien oder nicht. Ich habe versucht zu sagen, dass es Hoffnung gibt, aber er hat sich durchgesetzt und hat mir gezeigt, dass das alles dennoch sehr düster sei, diese Sonnenblumen und dieser „Frieden“, der in der Sprache noch nicht existiert …
Was Kolleritsch betrifft, so hat er über über den „Nazismus der Gräber“ gesprochen. Und ich habe von der großartigen Zeitschrift „manuskripte“ erzählt!“

Viel Freude beim Hören!

 

* „GroßVaterSprache“ und „Die Sonnenblumen“

 Nachzulesen am Ende des Essays „Von unserem Sonderberichterstatter in Poesie“ oder in der „Freien Presse“ (Sachsen), die „GroßVaterSprache“ letztes Jahr als „Gedicht der Woche“ abdruckte.
Die beiden Gedichten wurden in manuskripte 213 („Die Sonnenblumen“) und 199 („GroßVatersprache“) erstveröffentlicht.

 

 

„Von unserem Sonderberichterstatter in Poesie“ (manuskripte 218)

Posted in manuskripte, Simulakren, Tingeltangel-Tour by andreasundschnurrendemia on 25. November 2017

Mein eigener Beitrag zu Ausgabe 218 der manuskripte ist die Übersetzung von Guillaume Métayers Essay „Von unserem Sonderberichterstatter in Poesie“.

Der französische Dichter, Übersetzer und Geisteswissenschaftler Guillaume Métayer war im Juni 2017 im Rahmen des Programms „Styria Artist in Residence“ des Landes Steiermark in Graz zu Gast – wir sonderberichteten!

Hier schildert er seine Eindrücke: Graz, die Steiermark und Österreich von aussen, sozusagen – oder die Fremde des Nahen. Und nicht zuletzt eine Art Fest des Huhnes …

*

Guillaume Métayer

Von unserem Sondergesandten in Poesie

Obwohl Mallarmé notorisch zwischen der „universellen Reportage“ und der „Literatur“ unterschied, lässt sich doch, zumal in unserer überinformierten Welt, eine Form der Reportage imaginieren, die sich in den Dienst der Poesie stellt. Eine Erzählung jener Dinge, die sich unentwegt in „der Literatur“ oder rund um sie ereignen, die sie da und dort noch möglich machen, von denen aber niemand oder fast niemand je spricht, außer vielleicht in den ebenso erlaubten wie an den Rand gedrängten Formen der Memoiren und des Interviews, wo sie aber zum Freizeitvergnügen verflachen. Dies fortzuspinnen könnte eine Art „Rettendes in der Gefahr“ bedeuten, ein Gegenfeuer, das an der Schwelle zur Niederlage entfacht wird. Ein Gedanke des argentinischen Dichters Arnaldo Calveyra kommt mir in den Sinn: Die Zeitungen berichten zwar davon, dass einer seinen Nachbarn mit Messerstichen getötet habe, erwähnen aber nie, dass ein anderer, am selben Nachmittag, ein Gedicht schrieb. Von dieser Literaturzeitung, die so geräuschlos ist, dass sie sich häufig im Intimen einschließt, könnten wir, „eines Tages“, versuchen, ein Fragment zu skizzieren, das uns andere Informationen zusteckte als jene, die von allen bis zum Überdruss kommentiert werden („die Aktualität“), mit von hier und anderswo eingeschmuggelten Gedichten – schließlich darf das, was so vertraulich ist, durchaus ein bisschen geheim sein, braucht es Sonderberichterstatter in Poesie, wie in einem fernen Land. Es könnte also der Versuch unternommen werden, zu berichten, zu importieren und, aus allen möglichen Sprachen (hier aus dem Deutschen), zu übersetzen, die Ausfaltungen der Verdrängung der Poesie, die unsere Zeit zu erleben scheint, zu erforschen – eine Verdrängte, deren überschwängliche Rückkehr sich logischerweise in der Phrase „Alles ist Dichtung außer dem Gedicht“ ereignet (den Syllogismus, der dieser Phrase innewohnt, hat Martin Rueff jüngst angeprangert). Kurz, wir könnten auf eine bescheidene, nichtsdestotrotz europäische Weise versuchen, uns dem Gedicht zu nähern, es zu sich zu bringen, es dorthin zu rufen, wo es noch nicht ist, und es da zu erraten, wo es schon fehlt. Als ersten Versuch schlage ich bereitwillig vor, dem Verlauf eines hübschen kleines Flusses, der Mur, für einige Kabellängen zu folgen.

Das letzte Gasthaus

Mitteleuropa ist ein Gasthaus, das geschlossen hat, in dem man aber trotzdem noch bedient wird.

Nicht jeder, natürlich – nur die alten Stammgäste. Man konnte sie nicht einfach so, ohne ihr Lieblingsgasthaus, zurücklassen.

Sie wussten genau, dass hinter dem niedrigen Holzzaun, hinter den Paradeiser- und Paprikapflanzen, noch die Sonnenschirme stehen, mit den verschwundenen Biermarken darauf. Und darunter: einige Plastiktische.

Und so haben sie die Tür aufgestoßen und sind eingetreten, als ob nichts wäre.

Der Wirt und seine Frau wirkten nicht überrascht, sie zu sehen.

Man hätte meinen können, sie hätten alles vorbereitet.

Jedenfalls ist aufgedeckt.

Heute servieren sie ihr letztes Backhuhn. Oder das vorletzte. Aber immer das letzte. Bis zum nächsten Mal. Das nächste Mal, das allerletzte Mal, dass der klapprige Trupp der Stammgäste mehr schlecht als recht in diese Ecke Land in der Stadt, weiter unten am Fluss, bei der Parkhaus-Baustelle, gestolpert kommt.

Zu einem Termin, der in keinem Kalender steht.

Als Beilage zum Geflügel gibt es Salat aus dem Garten in einer wässrigen Sauce, deren Grundlage Kürbiskernöl ist – jenes Kürbiskernöl, das die slowenischen Nachbarn sich anzueignen versucht haben, das aber unser ist. Österreichisch bis in alle Ewigkeit – mit einem Faktum müssen wir uns nicht brüsten. Kürbiskernöl, im Original deutsch. Kürbisöl wäre ungenau. Ein Wort muss sich an eine Sache heranzoomen können, Stück für Stück. Also Kürbiskernöl.

Achtung, es darf nichts vermischt werden: Der Salat wird auf einem eigenen Teller serviert. Später geht die Wirtin wieder vorbei, die Salatschüssel gegen die Schürze gestemmt, die Servierzange in der Faust, wie um die Hühner zu füttern. „Später!“, schreit einer. „Es gibt kein Später“, erwidert sie jovial. Es ist ja das letzte Mal!

Der Wirt schleppt seine humpelnde Leibesfülle mehrere Male bis an den Tisch. Er ist mit weißem Spritzer beladen, es sieht aus wie ein Gleichgewichtsspiel. Weißwein mit Soda vermischt, ein bisschen nach dem Muster der Salatsauce. Bei fünfunddreißig Grad im löchrigen Schatten der Sonnenschirmrentner ist es kein Luxus, den Wein mit Wasser zu versetzen. Der Luxus besteht eher darin, dass er, der aus dem Verkehr gezogene Wirt, unser Mundschenk ist.

Dass er, für uns allein, das Kapital seiner letzten Anstrengungen verschleudert. Jede seiner Gesten, selbst die ungelenkigste, wird dadurch verschönert, nahezu perfekt. Oh, dass er niemals wieder ein Glas, selbst ein einzelnes, anders bringen wird als so, auf diesem kleinen, schwankenden Tablett mit dem schief platzierten Geschirrtuch darauf!

Eine Hommage, und dennoch: Es ist alles sehr familial hier, sagt mein Sitznachbar, äußerst erfreut, während er sich eines panierten Hasenohrs bemächtigt, von dem zahlreiche Ohrläppchen abstehen. Mit Radioaktivität hat das nichts zu tun, es ist nur die Leber des Huhns, die sich in der Panier ausdehnt und verfestigt.

Die Wirtin umkreist den Tisch mit einem Topf voll Reis. Sie lässt es auf jedem Teller mit ihrem Schöpflöffel zweimal klingeln. Ein Löffel für Mama, ein Löffel für Papa. „Papa“, so verabschiedet man sich hier. In der mit weißen Mischungen gespritzten Sonne macht das fast schon Sinn.

Die Wirte verteilen bereitwillig Herr Professors, aber woher wissen sie, wer tatsächlich die höchsten universitären Stufen erklommen hat?

Vielleicht aber ist Professor hier auch etwas ganz anderes. Ein Titel, den man niemals anders als honoris causa verleiht, nach langen Jahren endloser Diskussionen im Inneren eines emeritierten Gasthauses.

Professor, ist das nicht derjenige, der immer am Kopf des Tisches sitzt, dem die Gelehrten reiferen Alters ihre respektablen, kaum von der Frittüre benetzten Schnauzbärte zuwenden?

Professor, ist das nicht derjenige, der am Ende die Scheine zückt?

Professor, der, dessen Scheine man immer zurückweist?

Die Gestik, das steht fest, ist rituell: Du zückst die Scheine, ich weise sie zurück: Nein, nein, Herr Professor. Ihre essentielle Funktion ist es, den Professorenstatus des Professors zu bestätigen.

Nein, Professor, also.

Und außerdem haben wir jetzt geschlossen, wie Sie wissen. Ich habe also keine Kasse mehr. Und wenn ich ihr Geld nähme, dann würden mir die Beamten des Finanzamts Schwierigkeiten bereiten. Das einzige Mal, als ich es versucht habe, sind sie sofort gekommen. Wie der KGB. Man hätte meinen können, sie seien vom Dach gestiegen. Die Nachbarin mit dem Nussbaum war es vielleicht, die mich verraten hat, warum auch immer.

Die Angst vor dem Finanzamt ist ein taktvoller Vorwand, um das Geld zurückzuweisen: Ich verschmähe Ihr Geld nicht, Herr Professor. Ich erweise Ihnen nicht die immense Gunst der Kostenlosigkeit, nach der Sie allzu sehr in meiner Schuld stehen würden. Indem ich Ihnen dieses letzte Mahl anbiete, Ihnen und Ihren Jüngern, erspare ich mir Probleme, Sie verstehen.

Weil wir geschlossen haben, Herr Professor. Wir öffnen nur noch für Sie, einmal im Jahr, an einem beliebigen Tag, ausgerechnet an jenem, an dem Ihre zögerlichen Schritte Sie zu uns geführt haben. Selbstverständlich können Sie aber, wenn Sie darauf bestehen, etwas für die Getränke herlegen, wenn es Ihnen beliebt.

Und so wirft jeder seinen Schein auf den Tisch. Mit spitzen Fingern, wie man eben mit Geld umgeht, das nicht zum Zahlen da ist, das davon wie beschmutzt wirkt. Schließlich kann man die Summe, die man gibt, nur verachten – ist sie doch viel geringer als die Großzügigkeit, an der man teilhatte. Und weil das Ganze ja kein Mittagessen war, sondern nur eine Art Poker mit der Zeit. Wo man dann plötzlich zahlt, um „zu sehen“.

Um das Spektakel andauern zu lassen. Eine kleine letzte Runde für Österreich. Eine letzte Runde für Mitteleuropa.

Um die Welt aus dem Blickwinkel des geschlossenen Gasthauses zu sehen. Um für einen Moment aus diesem funktionierenden Universum auszusteigen. Um für einige Augenblicke abzudriften, wie ein Inselstück, das sich auf der Mur losgerissen hat und das sich schon lange vorsingt, dass es sein Slowenien wiedersehen wird, sein Kroatien, sein Ungarn.

Mit dieser Menge an Scheinen auf dem Tisch, all diesen Gelehrten, die wie zwielichtige Wetter aussehen. Aber es gab gar keinen Hahnenkampf, nur ein Backhuhn. Lange werden sie diese anrüchige Rechnung freilich nicht aufrechterhalten können. Denn sie haben nur dafür bezahlt, um zu sehen, wie es war. Schlimmer, vielleicht: um nicht zu sehen, wie es ist.

Wegen solcher Kleinigkeiten kommen die Finanzamtsbeamten nicht.

Und wenn sie kämen, sie würden sie schnell wieder laufen lassen, hinaus in diese funkelnde Welt, wo sie unaufhörlich dazu gezwungen sind, das zu essen, wofür man bezahlen muss.

Gratia

Warum hast du so schlecht gebucht? Lange musste ich mir vorhalten lassen, zum falschen Zeitpunkt angekommen zu sein. Weil ich ein Flugzeug reserviert hatte, das am Vorabend des Pfingstsonntags landete. Niemand wird in Graz sein, um dich zu empfangen. Niemand im ganzen Haus. In der ganzen Stadt kein offenes Café, wo man deine Schlüssel hinterlegen könnte. Warum hast du so schlecht gebucht? Du wirst in einem Hotel in Wien bleiben müssen. Auf deine Kosten, versteht sich. Und ab Dienstag früh in mein Büro kommen, um die Papiere zu unterschreiben und deine Schlüssel zu kriegen. Warum hast du so schlecht gebucht? wurde, im Geist wiederholt, bald zu einem Echo im Geist von Molières Was hatte er denn auch auf dieser Galeere zu suchen? Und so machte ich mich auf, um – gemäß Thomas Bernhard und Werner Schwab – Nazismen zu sammeln (wie es ja auch Barbarismen gibt). Ich war, wie jedermann, bereit, meinen schwarzen Stein zu werfen.

Und weil ich geglaubt hatte, in einer Bar ein Taufbecken gesehen zu haben, war es nur allzu leicht, daraus eine ganze Geschichte, ein ganzes Sonett gegen Graz zu machen:

Gratia

Um es allein zu tragen ist es zu schwer das Heil
So hatte man in Mitteleuropa den Gedanken
Eines totalen Sonderabverkaufs ohne Schranken
An einem Grabtuchzipfel hängt jeder hier zum Teil.

Vermehret Brot und Bier es wird keinem zu geil
Würstel des HErrn ein jeder hat im Gralschmalz die Pranken
Admiral Biedermeier schätzt es nicht sich zu zanken
Das Laschenschiff gibt träg´ er dem Untergang anheim

Man stolpert schon beim Eingang der Bars in ein Taufbecken
Kratér wohl den sangriaartig Blumen bedecken
Mit Muskatell´ betauft man sich ohne Unterlass

In diesen neuen Jordan tauchen hier alle ein
Man gratuliert sich und umarmt sich in dem Wein
Planscht rum und segnet sich noch in der kleinsten Gass.

Viel später bringt die nette Organisatorin meines Aufenthaltsstipendiums uns, eine rumänische Bildhauerin, ihren schachverrückten Freund und mich, zum Geburtshaus Arnold Schwarzeneggers. Wir besuchen die Kirche von Thal, die steirische Sagrada Família im Kleinformat. Man zeigt uns, am Ufer des Sees, das Boot des Versprechens, jenes „historische“ Kanu, in dem der Gouverneur von Kalifornien um die Hand einer brillanten Nachkommin Kennedys angehalten hat. Und dann das Kriegsdenkmal um die Ecke. Dort findet sich eine Europakarte, mit Kreuzen, die jene Orte bezeichnen, an denen Soldaten aus Thal gefallen sind. Ich finde das interessant, bedauere, so etwas in Frankreich nie gesehen zu haben. Meine Begleiter hingegen sind schockiert. Warum denn?, frage ich. Bei uns gibt es doch auch in jedem Dorf ein solches Denkmal. Brüder, Väter und Ehemänner sind gestorben. Es ist normal, ihrer zu gedenken.

Mag sein, antwortet die Rumänin. Aber hier gibt es nicht das kleinste Monument, das der im Zweiten Weltkrieg ausgerotteten Juden gedenkt. In Österreich hat es keine Entnazifizierung gegeben.

In Österreich hat es keine Entnazifizierung gegeben. So lautet das Leitmotiv der Gespräche unter uns Emigranten. Ich wiederhole es, wie jedermann, möchte es glauben, glaube es, bin mir sicher. Ich erinnere mich an Waldheim, Haider, Hofer. Aber im Grunde weiß ich nicht, inwieweit es tatsächlich wahr ist. Dazu brauche ich mehr als nur eine Reportage. Ich bekomme eine Art Bestätigung in Romanform, als ich, spät, einen schönen Roman von Alfred Kolleritsch, Herausgeber der berühmten Zeitschrift manuskripte, entdecke. Allemann, 1996 bei Verdier auf Französisch veröffentlicht und damals auch wahrgenommen, beginnt mit einem Begräbnis. Irgendwo in der Steiermark, 1980er Jahre. Überall, zwischen den Gräbern und besonders um jenes herum, das gerade gegraben wird, strömen die Nazis zusammen. Sie steigen aus der Erde, aus dem Schatten, von den Bäumen, kommen wieder hoch wie der Wald bei Macbeth. Unter ihren Mänteln zeichnen sich die versteckten Kreuze ab. Kolleritsch beschreibt ihre Sprache mit der Feinfühligkeit eines Klemperer. Sie bedienen sich weiterhin der Sprache ihrer Väter und Großväter, um den Horizont zu verriegeln. Sie sagen weiterhin der Führer. Die Nachkriegsnazis bestatteten sich ebenso heimlich gegenseitig wie die Mormonen sich taufen. Das letzte christliche Sakrament wurde auf extreme Weise in eine nationalsozialistische Salbung verkehrt. Der Nazismus der Gräber – wie einst das Christentum der Krypten.

Und dennoch kann es das doch wohl nicht sein. Ich kann doch nicht in die Steiermark kommen, nur um die Fehler der Väter zusammenzuzählen und das Schweigen der Familien zum Schreien zu bringen. Man muss auch etwas anderes sehen, auch wenn dieser Knödel im Bauch bleiben wird, für immer, nie am selben Fleck, ohne je zu wissen, wo man ihn hinstecken soll und man ihn immer von einem Winkel des Bewusstseins zum anderen trägt.

Das wäre eine persönliche Niederlage, denn Österreich ist mein Missing Link. Die nationale Erziehung hat uns, den braven Germanisten der 1980er Jahre, hauptsächlich Deutschland nähergebracht. „Aus eigenem Antrieb“ (wie es in den Mitteilungsheften unserer Kindheit hieß) habe ich Ungarn erforscht, ohne die geringste Anziehung für das zu verspüren, was mir als weicher Bauch erschien, das no-man’s-land zwischen Berlin und Budapest. Kaum angekommen, verzapfe ich mein Vorurteil gegenüber einem ungarischen Freund: Österreich scheint keine eigene Identität zu haben. Es ist Deutschland ohne die Ernsthaftigkeit, die Schweiz ohne Geld, Italien ohne die Sonne, Frankreich ohne die Eleganz, Ungarn ohne das Feurige, Jugoslawien ohne das Körnchen Verrücktheit. Ich taufe es „Nélkülország“ (das „Ohneland“) … Einfach. Und undankbar … Sollte über Österreich zu schreiben immer schon meckern über Kakanien bedeuten? Mons murem peperit. Ad infinitum? Überladener Gigantismus einer verstaubten Provinz. Die Karosse, die zum Kürbis wurde. Kürbiskernöl für immer. Der tiefe Fall Mozarts, Schuberts, Kafkas, Roths und all der anderen in den Trichter des Schwejk.

Was ist Österreich? Eine absurde Frage, aber welcher Reisende hat denn nicht versucht, ein Bild der durchquerten Länder an sich zu reißen? Simple Selbstbeherrschung kann das nicht verhindern. Es sind Fragen, die man eher überanstrengen sollte als sie bei Spielbeginn zum Schweigen zu bringen. Und so stelle ich beim Betrachten der barocken Kirchen fest, dass es überall dieselben sind, von Györ bis Bratislava, über Maribor und Budapest. Eine Freundin aus Graz, die eben aus Lemberg (oder Lvov oder Lviv) zurückkehrt, hat dieselbe enthusiastische Wahrnehmung gemacht. Und es war übrigens ihr Großonkel, der die Oper von Lvov erbaut hat, eine Nachbildung der Oper in Wien. Des Mutterhauses, sozusagen. Die Konturen der ehemaligen pax austriaca wiederzufinden kann, ich weiß es wohl, nur zu einem allerersten Verständnis dessen führen, was hier geschieht. Am schlimmsten scheint mir, dass die Originalität oder wesentliche Überlegenheit der Metropole nicht bestehen bleibt. Kolonialismus kompromittiert, nicht einmal Rom vermochte dem zu entkommen. Dasselbe lässt sich zweifellos an den Mini-Kolosseen der Provence, den kleinen Parisen in Algerien beobachten. Am Ende ist es immer die Metropole, die lächerlich wirkt. Seid nicht fruchtbar, und mehret euch nicht. Österreich hat sich dieser Tatsache zu spät gebeugt und ist jetzt arm dran.

Da ich an die Kolonisierten ein Stückchen donauabwärts gewohnt bin, ist meine erste Vision von Österreich die von etwas Pneumatischem, um nicht zu sagen: Aufblasbarem. Als ob man das Ungarn, das ich kenne, mit Luft vollgepumpt und so im Ganzen erweitert hätte. Größer und imposanter, aber genau dasselbe.

Es ist entschieden nicht einfach, sich einen Weg zu Österreich zu bahnen. Sein Image als Aufbewahrungsort des Hasses und seine verkrampfte Gemütlichkeit verbieten es, sich an ihm zu erfreuen. Es ist leicht, mit Sissi und Waldheim die zwei Seiten derselben Medaille aufzuzeigen. Hier der Zucker, dort der Tod.

Am besten überlässt man wohl den Dichtern das Wort, um zu hören, wie sie sich und uns sehen. Als ich ihn um ein Gedicht über Europa bitte, schlägt mir Michael Hammerschmid, der mir freundlicherweise etwas Zeit in Wien widmete, als ich „so schlecht gebucht“ hatte, diese wenig aufbauenden Verse vor:

am boden saß der vogel

neben einem auto

und flog nicht fort

er saß am boden

braun gescheckt lebendig

die sonne schien

der sommer stand im becken

der stadt

der vogel blieb

am boden

nur die passanten

gingen fort.

Andreas Unterweger gelingt es, als gutem Schüler Alfred Kolleritschs, dank einer doppelten Sprache von klinischer Präzision die Landschaften des „Vaterlandes“ (der „Heimat“) von Umweltpolitik künden zu lassen. Oder davon, wie der Atompilz und die oil company bis ins Land des Kürbiskernöls und der Sonnenblumen hinein eine Bedrohung darstellen.

Die Sonnenblumen

Die Sonnenblumen: strahlenkrank.
Den ganzen Sommer über

hielten sie vor dem Dorf die Stellung.
Hielten sie ihre Köpfe hin,

wenn aus dem Osten, Tag für Tag,
der Feuerball aufstieg, der Lichtblitz kam …

Unter den Pilzwolken, dem sauren Regen
die Sonnenblumen: schwer verstrahlt.

Und all das nur wegen dem bisschen Öl.

Und, um diese Eskapade abzuschließen, eine beunruhigende Anmerkung desselben Autors, in der sich zeigt, dass – in Ermangelung einer anderen Sprache als jener der Großväter – selbst die ländliche Idylle von der Erinnerung an und die Angst vor dem Krieg geformt wird.

GrossVaterSprache

Die Panzerwagen der Ernte-Division
sind gestern früh durch unser Dorf gerollt.

Vier Kilometer nördlich stand der Mais.
Sie mähten ihn, sie metzelten ihn nieder.

Erst gegen Abend herrschte auf dem Schlachtfeld
dann wieder Schweigen, sozusagen: Frieden

das Wort, für das der Weltsprache der Kriege,
in der ich schreiben muss, die Bilder fehlen.

To be continued.

***

Hier zwei Rezensionen:

Die erste, private, stammt von einer Dame aus Graz. Ein Auszug:

„Ein ganz negativer, dunkler Befund. Ein typischer Österreicher fast.“

Die zweite, öffentliche stand in der Kleinen Zeitung v. 3.12.17 – danke, lieber Werner Krause!

 

Live in der Scherbe

Posted in Simulakren, Tingeltangel-Tour by andreasundschnurrendemia on 13. August 2017

Nachtrag zum Termin:

29.06.17, 18:30, Guillaume Métayer und Andreas Unterweger lesen aus „Simulakren“ (Yara 2016) und andere Gedichte. Die Scherbe, Stockergasse 2, 8020 Graz
bzw.
07.08.2017, 20:00, Guillaume Métayer und Andreas Unterweger lesen aus „Simulakren“ (Yara 2016) und andere Gedichte – Aufzeichnung vom 29.06.17, „Die Scherbe„. Moderiert von Barbara Belic. „Das rote Mikro“, hier zu hören: Radio Helsinki.

Die legendäre Lesung in der Scherbe – Guillaume Métayer feat. Andreas Unterweger – jetzt auf digitalem Tonband!

Wer sich an diese Lesung erinnern kann, hat sie nicht miterlebt.
Wer die Lesung nicht miterlebt hat (oder sich nicht an sie erinnern kann [oder sich gern an sie erinnert?!)), kann sie jetzt im CBA-Archiv nachhören: https://cba.fro.at/346677 – ab 27:40.

Wie immer hochprofessionell und liebevoll aufbearbeitet von Barbara Belic, in deren immer empfehlenswerter Literatur- und Musik-Sendung „Das rote Mikro“ auf Radio Helsinki der Mitschnitt gesendet wurde.

Hier der äußerst informative Kurztext von Barbara Belic:

„Der französische Autor, Wissenschaftler und Übersetzer Guillaume Métayer (geb. 1972) und sein Grazer Kollege Andreas Unterweger (geb. 1978) … haben Gedichte des jeweils anderen ins Deutsche bzw. Französische übertragen und kürzlich in der Grazer „Scherbe“ vorgelesen. Métayers Lyrikband „Simulakren“ ist in der Edition Yara erschienen, einem kleinen Verlag, den die österr. Autorin Bernadette Schiefer gegründet hat. Unterwegers Gedichte wurden u.a. in der Literaturzeitschrift manuskripte abgedruckt.

Musik: Capricen für Violoncello von Dall’Abaco (1710-1805), gespielt von Sophie Abraham (private Aufnahme der Cellistin)

Weiterführende Links: Thomas Ballhausens Rezension von „Simulakren“ im FAQ-Magazine, Métayers Gastvortrag an der Uni Graz und die Website von Andreas Unterweger, die ein umfangreiches, gut aufbereitetes und unterhaltsames Archiv ist.“

Mehr zur „Tour de Simulakren“ hier.