Hat dies auf Performer Transformer Wordformer rebloggt und kommentierte: Literaturplätzchen auf der Murinsel... ich war dabei
Linda Stift
Nachtrag zu dem Termin:
11.03.2012, Andreas Unterweger beim Lesefest NEUE TEXTE 2012,
Kulturzentrum bei den Minoriten, Graz.
Um 11:00 stelle ich Linda Stift vor (wir sind Opener),
um ca. 15:25 lese ich selbst, mit einer Einführung von Natascha Gangl.
Eintritt: 5 Euro.
LINDA STIFT
Ich habe eine beste Freundin, die ist Schriftstellerin und heißt auch Stift: Andrea Stift, nicht
Linda Stift. Die Wendung – „Andrea Stift, nicht Linda Stift“ – kommt meiner besten Freundin
ähnlich routiniert flüssig über die Lippen wie mir die folgende: „Nein, ich bin nicht verwandt
mit dem Mörder.“ Im Gegensatz zu mir ist Andrea jedoch sehr wohl verwandt – nicht mit
dem Mörder, aber mit Linda, die auch Schriftstellerin ist, und als solche mörderisch berühmt.
Andrea und ich, Andreas, wir sind (Vor-)Namensvetter und -base – sogar zweiten Grades:
Andrea Josefine und Andreas Josef. Die (Nach-)Namensbasen Andrea Josefine und Linda
Stift sind hingegen nicht nur sprachlich, sondern auch wirklich Cousinen – was wiederum
uns, Linda Stift und mich, Andreas Josef Unterweger, in ein obskures, weder mit Worten
noch mit Stammbaum bestimmbares, und doch bestehendes Verwandtschaftsverhältnis stürzt.
Wenn ich über Linda Stift spreche, spreche ich also über ein Familienmitglied – wie bei einer
Geburtstagsansprache –, und als literarisch versiertes Publikum wissen Sie bestimmt, dass die
Weltliteratur keine schwierigere Gattung kennt als diese. „Je einfacher das zu Schreibende,
desto qualvoller meine Anstrengung“, heißt es bei Čechov über Geburtstagsglückwünsche.
Wäre Čechov je zum Lesefest eingeladen gewesen, er hätte das über Anmoderationen gesagt.
Ach, Anmoderationen … Früher, in den Zwanzigern (meinen, nicht denen des vorigen
Jahrhunderts), pflegte ich sie aus dem Ärmel zu schütteln – und tatsächlich habe ich auch
Linda Stift schon einmal, im Erscheinungsjahr ihres so erfolgreichen Debütromans Kingpeng,
2005, einem Publikum vorgestellt. Freilich, damals waren die Voraussetzungen andere: da ich
Andrea, meine Namensbase, noch nicht kannte, war ich mit Linda auch noch nicht verwandt.
Damals hatte ich noch nichts von Linda Stift gelesen; hatte noch kein einziges Glas Bier mit
ihr getrunken, war mit ihr noch nicht, innerhalb eines Tages, nach Frankfurt und zurück
geflogen; hatte sie noch nie dabei angefeuert, wenn sie hinter ihrem Söhnlein her durch die
Buch Wien hetzte – kein Wunder, dass ich (damals) mit ihren persönlichen Daten (geboren in
Wagna, studierte Germanistik etc.) um mich schmiss, als wäre ich Facebook … Und heute?
Heute geht so etwas nicht mehr. Heute kann ich ja nicht einmal über ihr neuestes Buch
sprechen, den Roman Kein einziger Tag. Zwar habe ich es ganz brav gelesen, wollte mir
während des Lesens auch Notizen machen – aber noch bevor ich meinen Unterstreich- und
Kommentier-Bleistift aus dem Federpenal holen konnte, war das Buch, das ich doch gerade
eben erst aufgeschlagen hatte, auch schon wieder ausgelesen … So kurz? Nein, so spannend!
So. Wenn ich richtig rechne, dauert diese Anmoderation nun bald drei Minuten – Zeit, an ein
Ende zu kommen. Linda, ich finde, Du bist eine gute Schriftstellerin und ein guter Mensch
(ist ja eh das Gleiche), und freue mich, als Dein Verwandter, Dein „Bruder“ sozusagen, schon
sehr auf die Lesung aus Deinem Roman, der ja nicht zuletzt ein Familien-Roman ist … Tja,
dann viel Spaß. Lass es krachen. Und, ach ja, bevor ich es vergesse: Nachträglich, aber doch –
alles Gute zum Geburtstag!
P.S.
Es war übrigens das erfreulichste Lesefest, an dem ich je teilgenommen habe – nur nette Leute und gute Texte.
Hier noch ein paar Bilder aus meiner schmucken Geburtsstadt …
Grazer Uhrturm im Abendlicht:
Ein paar Wohnhäuser:
Typische Grazer Altstadtidylle:
Frankfurt (2)
Ich war beileibe nicht der einzige, der am 14.10. auf der Buchmesse Frankfurt Fotos gemacht hat.
Man sehe etwa hier, dieses ungestellte Herausgeberfoto von Annette Knoch …
(Alfred Kolleritsch, Andrea Stift, Alfred Kolleritsch, Alfred Kolleritsch, Mr. Living Culture – v. r. n. l.,
(c) Literaturverlag Droschl)
oder hier, wiederum ungestellt, ein Schnappschuss von Helmut Utri …
(Andrea Stift, Mario Vargas Llosa, Dr. Heimo Steps, ich – v. r. n. l.,
(c) Helmut Utri)
und v. a. auch die Porträtsfotos, die der Berliner Fotograf Ekko von Schwichow im Auftrag des Droschl-Verlags von mir geschossen hat:
(Mir gefallen die Bilder gut, auch wenn ich beim Porträtstehen dummerweise darauf vergessen habe, meine Copyright-Maske abzunehmen …)
Zärtliches Pingpong
Aus der aktuellen Ausgabe der Literaturzeitschrift schreibkraft:
ZÄRTLICHES PINGPONG
Über den Gedichtband Konfrontationen von Maria Seisenbacher und Hermann Niklas
Andreas Unterweger
im Gespräch mit Andrea Stift
Warum arbeiten Andrea Stift und Andreas Unterweger in ihrer ersten gemeinsamen Rezension mit kommunizierender Kritik in Form von abwechselnden Wortmeldungen, die sich als spezielle kritische Dialogform verstehen?
Wie bitte?
Andrea, meine Frage ist eine Variation auf den ersten Satz des Buchs, das wir besprechen. Du sollst sagen: Weil auch „Hermann Niklas und Maria Seisenbacher […] in ihrem ersten gemeinsamen Gedichtband Konfrontationen mit kommunizierender Lyrik in Form von Antworten [arbeiten], die sich als spezielle lyrische Dialogform verstehen“. Verstehst du?
Aber das stimmt ja nicht.
Wie bitte?
Wir machen diese Rezension ja nicht deshalb gemeinsam, sondern weil wir immer wieder einmal Sachen zusammen machen. Und weil wir schon beim Viertelfestival 2008 „kommunizierende“ Prosatexte der beiden vortragen durften, die uns gut gefallen haben.
Na, ich habe eben gedacht, wenn wir so anfangen, wie ich gedacht habe, dann kommt die Rede gleich auf das Konzept des Gedichtbands – das ja sehr ungewöhnlich ist …
Allerdings. Niklas und Seisenbacher gehen so vor: ausgehend von einem gemeinsamen Erlebnis, schreibt einer der beiden ein Gedicht – auf das der andere, wieder in Form eines Gedichts, antwortet. Was dann wiederum eine lyrische Antwort zur Folge hat. Niklas´ Texte im Buch sind regulär gesetzt, Seisenbachers kursiv … Das Schöne daran ist, dass die beiden, ganz anders als wir zwei, ein Liebespaar sind.
Genau. Es handelt sich um kommunizierende Liebeslyrik. Etwas sehr Seltenes – in der Regel ist es ja so, dass einer (meist tatsächlich ein Mann) für den anderen (meist: die andere) schreibt. Dante für Beatrice. Petrarca für Laura. Klaus Theweleit hat herausgearbeitet, welch grausame Tendenzen einem solchen Verfahren zugrunde liegen können: der eine spricht/schreibt (lebt), weil die andere schweigt (wie ein Grab) … Dinge, über man sich, nebenbei bemerkt, im Klaren sein sollte, wenn man sich an etwas Ähnlichem versucht. – Für Liebeslyrik, in der beide Partner gleichberechtigt zu Wort kommen, fallen mir ad hoc jedoch kaum Beispiele ein. Vielleicht der Briefwechsel von Goethe und Marianne von Willemer – deren Gedichte dann freilich als „echte Goethes“ in den West-östlichen Divan eingegangen sind. Auch bei anderen schreibenden Paaren, wie etwa Celan und Bachmann, oder auch Rimbaud und Verlaine, dürfte es vergleichbare Ansätze gegeben haben. Aber als Konzept für ein ganzes Buch ist diese Idee – für mich zumindest – neu.
Und es ist eine wunderbare Idee! Wenn sich zwei für das Gleiche begeistern, das gemeinsam ausleben können und damit dann auch noch ihre Beziehung abbilden, das muss doch ein sehr schöner Prozess sein. Um dieses Hin und Her, dieses zärtliche Pingpongspiel, habe ich die beiden beim Lesen richtig beneidet …
Pingpongspiel trifft es gut. Tatsächlich spielen sich Niklas und Seisenbacher Bilder und Motive wie einen Ball zu – während der eine den Ball als Topspinn-Vorhand übers Netz kracht, spielt ihn die andere als Slice-Ballonball zurück … So wird etwa das zerbrechliche Straußenei aus dem einen Gedicht im nächsten zum aufschlagenden Kopf, dann zum Kopfloch, zum Krater, Spaltkopf usw. Ein beeindruckend dichtes Motivgeflecht – oder, um beim Bild zu bleiben: ein Match mit zahlreichen packenden Ballwechseln …
… oder „Konfrontationen“. Trotzdem ist mir der Titel etwas zu sehr auf Kontrast bedacht. Ich hätte dem Buch einen etwas liebevolleren Namen gegeben.
Die Betonung des „Gegeneinander“ fällt schon in den poetologischen Statements zu Beginn auf. Ich habe diese Art des Aufeinanderprallens jedoch nicht nur als lieblos empfunden – in den Gedichten scheint es auch erotisch konnotiert zu sein.
Und es handelt sich auch um das Aufeinanderprallen zweier Sprachen – seine: konkret im Benennen, sehr körperlich, fast pushy …
… ihre: filigraner, unbestimmter, „lyrischer“ …
…– bis tatsächlich, wie anfangs als Ziel vorgegeben, „eine gemeinsam fremde Sprache“ entsteht. Tatsächlich werden die „Stimmen“ der beiden gegen Ende des Buchs einander immer ähnlicher – und die Texte immer kürzer: als ob es dann nicht mehr so vieler Worte und Erklärungen bedürfe, weil der andere mittlerweile beinahe schon dieselbe Sprache spricht. Dieser Prozess macht die Besonderheit dieses Gedichtbands aus. – Wenn man aber in das Buch hineinblättert, einmal hier und einmal dort ein Gedicht liest, wie man das mit Gedichtbänden eben so macht, erschließt sich diese Qualität nicht. Da habe ich mich eher über den unzugänglichen Charakter einzelner Texte gewundert – oder mich von der stellenweise gekünstelten Ausdrucksweise abgewiesen gefühlt. „Manchmal wünsche ich mir etwas mehr Einfachheit“, habe ich mir z. B. notiert.
Ich verstehe, was du meinst. Aber: das (lt. Vorwort wider Willen) „verschlüsselt oder geheimnisvoll“ Wirkende der gemeinsamen Sprache, die stellenweise wirklich an eine Art „Privatsprache“ erinnert, scheint mir eine fast notwendige Gegenbewegung zur Textform darzustellen: Die Kommunikation zweier Liebender ist ja per se etwas sehr Intimes. Und diese Intimität ist auch ganz deutlich spürbar – manchmal fast zu deutlich …
Mir ist es auch so gegangen! Das hab ich mir auch notiert!
Man fühlt sich wie ein Voyeur – ohne aber etwas sehen zu können. Während die Gedichte mich Leser vor das Fenster drängen, zieht die Sprache, in der sie gehalten sind, den Vorhang zu … Die Form enthüllt, der Ausdruck verschleiert. In diesem Schwebezustand scheinen mir diese Texte zu verharren – und das ist auch gut so.
Mag sein. Es ist ja auch jedes der Gedichte, für sich genommen, gut.
Widerspricht das nicht dem, was du vorher gesagt hast?
Nein. Ich habe gesagt, die Gedichte sind gut, ich habe nicht gesagt, dass sie schön sind.
Kannst du mir das bitte erklären?!
Ein gutes Gedicht ist eines, an dem ich nichts auszusetzen habe. Bei einem schönen Gedicht aber bleibt mir die Luft weg.
Und wenn du nun die einzelnen „guten“ Gedichte dieses Buchs im Kontext der „lyrischen Dialogform“, in der sie stehen, im Wissen um ihre Suche nach einer „gemeinsam fremden Sprache“ liest, werden sie dann für dich nicht „schön“?
Leider nein. Ich finde die Idee des Buchs zwar bezaubernd – doch mir fehlt eben der gewisse Zauber … Natürlich ist das ein rein subjektiver Eindruck.
Hm. Das heißt: wir verbleiben diesem Buch gegenüber …
… etwas ratlos …
… aber mit großer Sympathie.
Genau!
Maria Seisenbacher und Hermann Niklas: Konfrontationen. Gedichte 2005 – 2008. Artwork von Goto. St. Pölten: Literaturedition Niederösterreich 2009.
Zeit aus den Fugen
Geschrieben im November 2010, heute Morgen in G7, dem Grazer Stadtmagazin der Kleinen Zeitung, und auch heute Abend noch aktuell:
ZEIT AUS DEN FUGEN
Für Christian
Wer in die Stadt seiner Jugend zurückkehrt, reist immer auch durch die Zeit. Es ist wie in einer jener Filmszenen: Der (Anti-)Held, den man verkörpert, schaut oben aus dem Hotelfenster – und sieht sich selbst unten die Straße entlang stolpern: so viele Jahre jünger, so viele Erfahrungen ärmer, unterwegs im Labyrinth seiner Vergangenheit.
Wie verschlungen deren Wege auch gewesen sein mögen – diesem längst enteilt geglaubten Passanten heftet man sich gern an die Fersen. Zumindest mir ergeht es so. Wann immer ich nach Graz komme, folge ich freudig meinen alten Spuren – gegen den Strom (und oft leider auch gegen die Zeichen…) der Zeit.
„Schau, dort habe ich Zivildienst gemacht!“, rufe ich etwa meiner Frau zu, während wir durch die Münzgrabenstraße fahren. Sie seufzt, denn sie hat das schon 57 Mal gehört – hört es jedes Mal, wenn sie mit mir in Graz ist. Und dass ich, beidhändig deutend, das Auto fast in den Gegenverkehr lenke, kann ihre Begeisterung für meine autobiographische Schnitzeljagd auch nicht steigern…
Schon wahr: oft verstellt mir der „Nostalgiequatsch“, wie Element Of Crime so schön singen, den Blick auf das Graz der Gegenwart. Da dieses aber zweifellos auch viel zu bieten hat, begab ich mich jüngst, begleitet von einem lieben „alten“ Freund, auf Expedition. Ausgestattet mit einem ganzen Abend Freizeit (welch Luxus für uns Familienväter!), machten wir uns auf, den nostalgischen Schleier über unserem Stadtbild zu lüften – und uns als das zu präsentieren, was wir doch immer noch sind: radikal heutig, kompromisslos zeitgenössisch, Wellenreiter auf der Schaumkrone des ewig flüchtigen Jetzt!
Das erste Lokal, das uns (von früher) bestens vertraut war, bestätigte unsere Selbstwahrnehmung. An der Theke saßen (alte) Bekannte, auch den Kellner kannten wir (von früher), und dass uns selbst die Anekdoten, die er zum Besten gab, bekannt vorkamen, ließ unsere Vermutung, dass sich (seit damals) nichts, oder zumindest nicht viel, geändert hatte, fast Gewissheit werden.
Umso härter trifft uns der Lokalwechsel um Mitternacht. Ist die gewählte Kneipe „damals“, als wir noch studiert haben, von Gleichaltrigen frequentiert worden, so wimmelt es jetzt dort vor Halbwüchsigen. Selbst die Kellnerin ist noch ein Kind – kaum zu glauben, dass sie schon Vorlesungen besucht. Und doch: „Grüß Gott“, schmettert sie meinem Freund, der an der Uni lehrt, entgegen, ,,HERR PROFESSOR!!!“
An diesem Punkt des Abends gerät irgendetwas (die Zeit?) aus den Fugen. Es ist wie in einer jener Filmszenen: Die gesetzten „HERREN“, als die wir entlarvt worden sind, ergreifen umgehend die Flucht – werden jedoch von ihren jüngeren Doppelgängern, die eben hereinstolpern, zurückgehalten – ins Getümmel gezerrt – und auf Bier eingeladen…
Schnitt.
„Der gemeinsame Abend“, schrieb mir mein Freund am Tag danach, „war sehr gelungen. So alt und zugleich so jung, das ist schon etwas, worauf man stolz sein kann!“ – Ja, lieber Christian, das finde ich auch. Manches wird eben erst mit dem Alter zur Leistung. Und selbst wenn es, wie diesmal, Kopfschmerzen verursacht – die Gegenwart ist immer eine Zeitreise wert.
P.P.S.
Rätsel der Literatur:
Wer weiß, wie der Autor des Romans „Zeit aus den Fugen“ heißt, dessen Titel ich für meinen Artikel gezuguttenbergt habe?
Die erste richtige Antwort* gewinnt das Buch** aus meiner überquellenden Privatbibliothek!
* Googeln gilt nicht!
** Einmal gelesen, ohne Eselsohren und Klopapier-Lesezeichen, Neupreis: € 10,30.
leave a comment