France Culture
Nachzuhören für immer:
05.03.2018, 22:15, Guillaume Métayer spricht mit dem Philosophen Fréderic Worms über seine Reisen durch Mitteleuropa und liest dabei, u. a., Gedichte von Andreas Unterweger.
France Culture Radio (hier zu hören!).
Originaltitel der Sendung: „En compagnie des poètes européens, libres passeurs“ – also so was wie: „In der Gesellschaft europäischer Dichter, freier Schmuggler“. Untertitel: Frédéric Worms im Gespräch mit Guillaume Métayer, Übersetzer, Dichter und Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Po&Sie“.
Ein hirnerfrischend intelligentes, herzerwärmend sympathisches Gespräch, das inhaltlich über weite Strecken Métayers Essay „Von unserem Sonderberichterstatter in Poesie“ folgt, in dem er von seinen Erfahrungen als Styria Artist in Residence 2017 berichtet, und den ich für Heft 218 der manuskripte übersetzt habe. Über die Lesung und Diskussion zweier meiner Gedichte* habe ich mich natürlich besonders gefreut.
Hier ein paar Splitter der umfassenden Ankündigung auf France Culture (mit Foto der Murinsel!):
„Was ist das, ein Dichter im Europa von heute? Um das zu erfahren, ist Guillaume Métayer, ein großer Nietzsche- und Voltaire-Spezialist und selbst ein Dichter, durch Mitteleuropa gezogen, immer entlang des Flusses Mur, den man ausspricht wie „l´amour“ (die Liebe), obwohl er er wie „le mur“ (die Mauer) geschrieben wird (…)
Auf die Frage, was das denn sei, „ein europäischer Dichter“, ist seine Antwort einfach: „Ein Schmuggler.“
[Gullaume Métayer weiter:] „´Ich glaube, dass man sich immer noch durch Europa bewegen und dabei Dinge entdecken kann, die man nicht zwingend sieht. Es gibt das Phänomen einer unfreiwilligen Verdunklung gewisser europäischer Errungenschaften. Man findet oft düstere Ideen über Europa, aber tatsächlich gibt es enorm viele Talente in Europa, passionierte Dichter, die arbeiten, die sich gegenseitig übersetzen. Es gibt eine Republik des Geistes, die existiert, die Skype verwendet, die ein extrem lebendiges Netzwerk bildet. Aber diese erfreulichen Aspekte werden verdrängt. Ich habe den Eindruck, dass man sozusagen in der Vorstellung lebt, dass nichts mehr passieren wird und dass Europa nur noch eine Karikatur seiner Vergangenheit darstellt.´
#Andreas Unterweger #tournesols #Kolleritsch“
Für mich sind das sehr bewegende Worte. Ich lebe in dieser „République des lettres“. Hier ein paar Fotos aus dem Landesinneren:
Métayer und ich übersetzen uns gegenseitig am Trojane-Pass:
In einem privaten Mail hat Guillaume die Sendung übrigens so angekündigt:
„Frédéric Worms ist ein sehr intelligenter Philosoph, ein Bergson-Spezialist, vor allem. Er versteht alles. Er hat deine Gedichte* sehr gelobt, wir hatten eine Diskussion darüber, ob sie von den Geistern der Vergangenheit beherrscht seien oder nicht. Ich habe versucht zu sagen, dass es Hoffnung gibt, aber er hat sich durchgesetzt und hat mir gezeigt, dass das alles dennoch sehr düster sei, diese Sonnenblumen und dieser „Frieden“, der in der Sprache noch nicht existiert …
Was Kolleritsch betrifft, so hat er über über den „Nazismus der Gräber“ gesprochen. Und ich habe von der großartigen Zeitschrift „manuskripte“ erzählt!“
Viel Freude beim Hören!
* „GroßVaterSprache“ und „Die Sonnenblumen“
Nachzulesen am Ende des Essays „Von unserem Sonderberichterstatter in Poesie“ oder in der „Freien Presse“ (Sachsen), die „GroßVaterSprache“ letztes Jahr als „Gedicht der Woche“ abdruckte.
Die beiden Gedichten wurden in manuskripte 213 („Die Sonnenblumen“) und 199 („GroßVatersprache“) erstveröffentlicht.
Die beiden Gedichten wurden in manuskripte 213 („Die Sonnenblumen“) und 199 („GroßVatersprache“) erstveröffentlicht.
Tour de Simulakren
Posted in Simulakren, Tingeltangel-Tour by andreasundschnurrendemia on 27. Juni 2017
Einen Monat lang war ich der Leporello eines waschechten STYRIAN ARTIST IN RESIDENCE des Landes Steiermark:
Guillaume Métayer, Dichter, Geisteswissenschaftler und Übersetzer (aus dem Ungarischen, Deutschen, Slowenischen …) aus Paris, Frankreich!
Während seines Aufenthalts übersetzten wir nicht nur mehrere seiner Gedichte aus dem Französischen ins Deutsche …
… und mehrere meiner Gedichte aus dem Deutschen ins Französische …
… sondern lasen auch mehrfach aus Métayers Gedichtband Simulakren, den ich übersetzt habe und der letzten Herbst bei Edition Yara erschienen ist.
Die Gedichte aus dem Band kombinierten wir mit den immer zahlreicheren neuen bzw. neu übersetzten Gedichten Métayers (Sonette!) und Gedichten von mir, die er für Heft Nr. 6 der französischen Literaturzeitschrift „Place de la Sorbonne“ bzw. hier, vor Ort, übersetzt hatte.
Nach zwei sehr erfreulichen zweisprachigen Lesungen, am 09.06. in draxlers Büchertheke in Leibnitz …
… und am 12.06. in der Steiermärkischen Landesbibliothek in Graz …
… einem französischen Vortrag Guillaume Métayers in einem knallvollen Hörsaal der Romanistik an der KF-Uni Graz am 21.06. über „Nietzsche und Voltaire“ (so auch der Titel seiner bei Flammarion erschienenen und vielbeachteten philosophischen Untersuchung, der zufolge Nietzsche immens von Voltaire beeinflusst war und die sich, angesichts ihres Themas – Aufklärung, Kampf gegen religiösen Aberglauben u. Ä. –, weniger historisch denn frappierend aktuell präsentiert) …
(oben v. l.: Mathias Rambaud, Leiter des Instituts, der uns mit klugen, tiefschürfenden Fragen anspornte, G.M., Aleš Šteger, der – vielen Dank!!! – einige meiner Gedichte ins Slowenische übertragen hat, ich – Fotos mit mir drauf von Marjeta Maluš,
… das meinen Aufenthalt im schönen Ljubljana mitermöglichte, hvala lepa!),
gaben wir am 29.06.17 um 18:30 im Keller der Scherbe am Grazer Lendplatz (Stockerg. 2, 8020) unsere (vorläufige!) Abschiedsvorstellung.
Wieder lasen wir, strikt zweisprachig, Gedichte sowohl von Guillaume Métayer als auch von mir …
… und führten dazwischen bierernste bis spritzige Unterhaltungen.
Die Musik kam von „Fisch auf dem Wasser“ (p, b), außerdem las Raoul Eisele aus seinem neuen Gedichtband (Yara 2017).
(Fotos mit mir drauf aus der Scherbe von Barbara Belic, die unsere Lesung dankenswerterweise für ihre Sendung „Das rote Mikro“ auf Radio Helsinki mitgeschnitten hat. Erstausstrahlung am 07.08.2017, 20:00 – die Sendung ist hier nachzuhören [ab 27:40]!)
Und danach? Hieß es leider Abschied nehmen … Au revoir, lieber Guillaume, komm bald wieder!
Wir danken allen Beteiligten, insbesondere Christiane Kada, Luise Grinschgl, Erwin und Barbara Draxler, Christine Wiesenhofer, Astrid Poier-Bernhard, Mathias Rambaud, Aleš Šteger, Marie-Therese Hermges, Marjeta Maluš und Bernadette Schiefer.
Tagged with: guillaume métayer, styrian artist in residence
Simulakren
Posted in Simulakren, Tingeltangel-Tour by andreasundschnurrendemia on 15. Dezember 2016
Guillaume Métayer ist ein richtiger, richtig guter Dichter aus Paris.
Jedes seiner Gedichte ist ein eigenständiges Stück Musik, wie man sie so noch nicht gehört hat.
Ich habe, so gut es eben nur irgendwie ging, versucht, einige dieser ebenso ausgeklügelt wie verspielt aus Lebensfreude, Barock-Geschichte, Impressionismus, Paris-Tourismus, Ägyptologie, Wortspielen, hochgebildeten Anspielungen, Traurigkeit und vielem anderem mehr zusammenmontierten Klangkörper ins Deutsche zu übertragen.
Ca. 15 davon wurden in den manuskripten veröffentlicht (s.u.). Nun sind im Verlag Edition Yara meine gesammelten Übersetzungen als auch optisch und haptisch sehr schöner Gedichtband „Simulakren“ publiziert worden (Design: Verlegerin Bernadette Schiefer und Layouter Matthias Schmidt – danke!).
Wie sehr sich das Buch auch als Weihnachtsgeschenk eignet, beweist die Weihnachtskarte des Kulturzentrums bei den Minoriten, die einen Vers Métayers mit einem Bild Francois Burlands zu einem sehr gelungenen Ganzen verknüpft!
Guillaume Métayer wird im Juni 2017 als Styrian Artist in Residence in draxlers Büchertheke in Leibnitz und in der Steiermärk. Landesbibliothek lesen (s. rechts, Termine).
Das wird dann ca. so aussehen:
Guillaume Métayer bei unserer Lesung in der Maison de la Poésie, Paris, Mai 2016.
(c) Céline Rabaud
Der wahre Klappentext:
„Wunderschöne Gedichte, die in ihrer Einfachheit und Tiefe erstaunen. Melancholie und Sprachwitz geben sich die Hand. Eine Entdeckungsreise durch eine andere Art Paris.“
Die Autorenvita:
Guillaume Métayer, geboren 1972, lebt in Paris. Lyriker, Übersetzer, Literatur- und Philosophiehistoriker. Veröffentlichungen u. a.: Fugues. Poèmes (Aumage 2002), Nietzsche et Voltaire. De la liberté de l’esprit et de la civilisation (Flammarion 2011). Übersetzungen aus dem Deutschen (Nietzsche, Kafka), aus dem Ungarischen (István Kemény, Attila József und Krisztina Tóth) und aus dem Slowenischen (Aleš šteger, Tomaž šalamun). Auszeichnungen, u. a.: Prix Bagarry-Karatson, Prix Henri de Régnier (Académie française), Prix de l’Essai de la Revue des deux mondes.
Die Textproben:
Gedichte von Guillaume Métayer in den manuskripten 192 und 201.
Und ein Video – der Übersetzer spricht über den Dichter im Café Evi in St. Pölten:
Und jetzt noch der wichtigste Link:
Buch bestellen! Buch bestellen! Buch bestellen!
(http://www.edition-yara.at/index.php/kontakt)
Guillaume Métayer
Posted in manuskripte by andreasundschnurrendemia on 3. November 2013
Mein Beitrag zu Heft 201 (!) der Literaturzeitschrift manuskripte:
XXX
Guillaume Métayer: Gedichte
Aus dem Französischen von Andreas Unterweger
XXX
Nostalgie
XXX
Ich habe Sehnsucht nach dem Hundebellen
Nach den drei Schlägen von drei Uhr
Nach dem Nieseln – zu hoch, um es zu sehen
Auf den Kastanienbäumen, die in Blüte stehen
Nach der Krähe, die in die Wohnung gekommen ist
Und die sich mit der Sonne dreht
Wie ein Kugelstoßer
Und trotzdem
Habe ich gar keine Sehnsucht nach dem Hundebellen
Die drei Schläge sterben auf meinem Herzen
Wie ein Weg im Sand
Mein leeres Auge sieht schon fast nicht mehr
Wie das Nieseln den Balkon küsst
Die Krähe ist nie in die Wohnung gekommen
Das Fernsehen allein zeigt Kugelstoßer
Und zusammengeschrumpft wie ein verwundeter Schreiber
Täusche ich meine Liebe zur Sonne nur vor.
XXX
XXX
XXX
Ich bewohne eine Falte deiner Hüfte
Eine Runzel an deinem Hals
Ich kralle mich in deinen Rücken wie eine Bürste
Beschwere wie ein Klumpfuß deinen Schritt
Sogar an deinem Finger, dem alten Bündnisträger,
Schüttelst du mich
Sogar von deinen Lippen möchtest du
Mein Lachen abschütteln
Wie einen Husten
Ich habe kein anderes Zuhause als dich
Lass mich einfach nur
Die winzigste der Flammen sein
Ein Faden blauen Feuers
Auf deines müden Auges Grund
XXXX
XX
C.
XXX
Ich höre sie überall
Wo es nicht möglich ist
In den zerknitterten Seiten
Der nie gelesenen Zeitung
In meinem eigenen Murmeln
Lockt ihr heiserer Ruf
Und so höre ich überall
Dass ich sie nicht höre
Da kein Gang ihren Schrei in mein Ohr hinein setzt
Da ihr Boot nicht neben meinem stampft
Will ich in ihrer Gasse keine Mauer bauen
Träume ich nicht von einer grundsoliden, aber angrenzenden Luft
Ich reiße die Trennwand der Stille nieder
Und verteile ihre Splitter
Ohne Durst auf Schlaf zu haben
Höre ich bis zum Schluss
Der Stille zu
Und meinen Atemzügen
XXX
XXX
Geduld
XXX
Kein anderes Mittel, um ihn wiederzufinden.
Noch weiter gehen,
Alles loslassen, alles
Auf die ungewisse Wiederkehr der Flügel setzen.
Immer von ganz unten kommt er zu mir zurück.
Immer auf dem verlorensten Weg,
An der Ecke der schmutzigsten und am weitesten entfernten Straße geschieht es,
Dass, aus seiner Nische heraus, ein heiliger Christophorus mir zulächelt.
XXX
XXX
Ein Ikarus
XXX
Ich, strahlenbekränzter Passant, verteile in den Straßen
Flugs das Lachen und erwecke die Freude,
Wandle auf dem See der Stadt,
All jenen, die tricksen, meine Arme zu öffnen
Und ihnen meinen Körper zu essen zu geben, mein Brot.
Trotzdem
Ein gefallener Engel bin ich auch,
In den schmutzigen Straßen suche ich auch,
Eine Art Heiland.
XXX
XXX
Abhängigkeit
XXX
Ich bin zuerst auf der Straße
Und lächle der Welt zu, überall.
Ich würde ihr die Hand geben
Und ihr applaudieren,
Wenn es nötig wäre. Plötzlich
Wird mir bewusst,
Dass ich allen und jedem
Einen Faden gegeben habe. Jeder
Bedankt sich bei mir und setzt seinen Weg fort:
Wer die Straße hinaufgeht, wer sie hinuntergeht,
Wer den Bus nimmt …
Ich muss folgen, habe nicht die Kraft
Zu Widerstehen.
Stunden und Stunden entfernt von mir.
Wenn ich beim Absinken des Tages
Nach Hause komme,
Rolle ich mich zusammen.
XXX
XXX
Boulevards
XXX
Du hast mir als Erste die Boulevards gezeigt.
Seither habe ich Hunderte davon entdeckt,
In Paris und auf der ganzen Welt.
Geheimnisse der Metropolen,
Garage der Eltern,
Fern von den Rosen, die die Dämmerungen
Auf den Pantheons niederlegen
Und auf den Wohnungen der Hügel,
Vergessene Boulevards,
Versteckte Papeterien,
Die drei schiefe Sonnenstrahlen abkriegen,
Schöne Stadtviertel der Vergangenheit.
Im Sommer, auf dem Balkon, den Fuß im Steigbügel
Des Blattwerks, höre ich
Den Aufzug der Kavallerie, den Abzug
Der Demonstration
In Richtung anderer Avenuen.
XXX
XXX
Pariser Lieben
XXX
Und so, via Bushaltestellen
Und noch unbekannten Parks,
Führten sie uns an der Hand
Durch Gebäudelabyrinthe
Bis zu einer Kutschentür,
Wo sie sich, um einzusteigen, auf die Ellbogen stützten,
Und Aufzugsgittern
Und kühlen Treppenabsätzen
– Als Töchter ihrer Eltern
Zeitweilige Halterinnen des Schlüssels
Zu Wohnungen mit Holztramdecken
Und Fenstern, die auf Denkmäler hinausgehen.
Diese hier sagte Ihnen Bonjour
Mit einem langen Kuss auf dem Fauteuil;
Diese dort sagte Ihnen Bonjour
Mit einem längeren Kuss in der Tür
Vor dem Staubsauger;
Diese hier umarmte Sie
Vor des Doktors Kutschentür.
Au revoir, au revoir, meine Einzige,
Da ich dich nun nicht mehr umarmen werde,
Habe ich dich an der Schwelle
Deines Labyrinths von quartier ziehen lassen:
Zu Mittag, über den vorbeifahrenden Bussen,
Spiegelt dein im Sommer weit offenes Fenster
Unsere Küsse nicht mehr.
XXX
XXX
Seiten
XXX
Jeder Tag eine Seite
Die Seiten des Frühlings
Die Seiten des Winters
Die Seiten der Sonnentage
Und die Seiten der Tage, an denen die Sonne
Im Gewitter zusammensackt und man sich verstecken muss,
Den Rückzug antreten in ein ungastliches Café,
Dann, unter dem militärischen Platzregen,
Sich über die Leiter
In die Unordnung meiner Kajüte flüchten,
Meine vom Regen gehämmerte Arche Paris.
In meinen Papieren
Dem Tag noch einen letzten Schlag verpassen,
Auf dass er schneller falle
Mit zwei Stimmen
Aber die Tage, die man zu mehrt durchblättert, verbrauchen sich schnell
Und die Tage, die man zu mehrt abpflückt, verwelken schnell
Und so viele blutleere Tage befreien uns nicht
Von der Hoffnung,
Dass die endlosen Wolken
Sich ausdünnen mögen.
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