Hat dies auf Performer Transformer Wordformer rebloggt und kommentierte: Literaturplätzchen auf der Murinsel... ich war dabei
Die große Elf (Stanglpass 18)
(Aus dem sehr empfehlenswerten Heft 60 der Fußballfachzeitschrift Der tödliche Pass)
Die Welt von gestern
Karl Bruckners Fußballroman Die große Elf
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Beim Ausräumen einiger in meiner Geburtsstadt Graz verbliebenen Regale fiel mir neulich ein Buch in die Hände, das ich als Kind zu meinen Lieblingsbüchern zählte: Die große Elf von Karl Bruckner, „ein“, laut Untertitel, „besinnlich-heiterer Fußballroman für Jugendliche bis zum Greisenalter“, erschienen 1951 bei Waldheim-Eberle (Wien).
Bei dem Buch, das ursprünglich wohl aus der Bibliothek meines Vaters (Jahrgang 1947) und meines Onkels (1946) stammt, handelt es sich um die Fortsetzung von Bruckners Bestseller Die Spatzenelf („Gesamtauflage von über 130.000 Exemplaren“, Wikipedia). Dieser „erzählt von Wiener Buben, die zwischen Randstein und Gaslatern’ aufwachsen und auf der Gstettn in Fußballspielen mit einem ,Fetzenlaberl´ ihre Rivalitäten austragen. […] Das solidarische Kollektiv Spatzenelf trägt schließlich den verdienten Sieg über die arroganten Ameisgässler davon“ (Thomas Karny, Wiener Zeitung v. 20.10.2007).
Die Handlung von Die große Elf spielt „ein paar Jahre“ später. Ähnlich wie in Sequels von Hollywood-Sportfilmen (z. B. Die Indianer von Cleveland II) geht es darin um den vorläufigen Niedergang der einst so erfolgreichen Mannschaft – auf den dann freilich ein neuerlicher, umso glanzvollerer Aufstieg folgt. Aus den kindlichen „Wunderspatzen“ wird im Verlauf des Buchs die (gereifte) „große Elf“.
In Erinnerung geblieben ist mir Bruckners Roman wegen der Dramatik der geschilderten sportlichen Ereignisse. Resultat und Verlauf des Entscheidungsspiels („Cup-Finale“) wusste ich immer noch, selbst ein paar Torschützen bekam ich noch zusammen.
Beim Wiederlesen musste ich allerdings feststellen, dass die Spielberichte, die mich damals so gefesselt haben, kaum mehr als eine Art Kulisse darstellen. Viel wichtiger erscheinen mir heute hingegen jene Passagen, die ich als Kind gern überblättert habe: die, in denen „das Augenmerk auf die materiellen Interessen im Sportbetrieb“ (Karny) gelegt wird.
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Erschienen vor 60 Jahren, spielt der Roman Die große Elf in einer Welt von gestern. Das zeigt sich schon an den Mannschaftsaufstellungen, mit denen – 17 Jahre vor Peter Handkes Gedicht Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968 – das Buch eröffnet wird. Das „Spatzenteam“ spielt mit fünf Stürmern, drei Mittelfeldspielern (darunter der zentrale „Centerhalf“, eine Mischung aus Libero und Spielmacher) und nur zwei Verteidigern.
Ein derart offensives 2-3-5 wäre im heutigen Fußball unvorstellbar – Ähnliches gilt auch für die abseits des Spielfelds wirksamen Systeme.
Die Jugendmannschaft des „S. C. Viktoria“ ist so etwas wie Wiener Meister in der Altersklasse U18. Heute wäre für ihre Spieler der Sprung zum Profitum (samt zu erwartendem Vereinswechsel) der einzig logische Schritt – man denke etwa an den Wiener David Alaba, der mit fünfzehn Jahren bei der Wiener Austria auf der Bank saß, mit sechzehn zum FC Bayern wechselte, dort mit siebzehn in der Kampfmannschaft debütierte und „kurz nach seinem 18. Geburtstag“ (Wikipedia) einen Profi-Vertrag unterschrieb.
Karl Bruckner erteilt jedoch dem verfrühten, wenn nicht gar dem gesamten Sportprofitum eine klare Absage. „Sport macht Freude, Arbeit schafft Geld“, lautet die Maxime des moralisch integren Trainers Alois. Und in einer Sitzung, in der über den Verkauf von drei Jungfußballern gestritten wird, wettert der Trainer: „Begreift doch endlich, daß ihr etwas ganz Widersinniges tun wollt: ihr gebt talentierte Jugendspieler ab, die wir uns mit Mühe groß gezogen haben, und wenn ihr dann Nachwuchsspieler für unsere Erste braucht, müßt ihr sie wieder von anderen Vereinen kaufen. Ich bemühe mich jahrelang, junge Menschen zu ehrlichen, tüchtigen Sportlern zu erziehen, und ihr macht Geschäfte mit ihnen? Wenn ihr ohnehin nur Spieler kaufen und verkaufen wollt, dann tauft doch unseren Verein um – nennt ihn nicht ,Sportklub´ Viktoria, sondern ,Sporthandelsagentur [Präsident] Schrumseder, [Sektionschef] Bartos und Kompanie´.“
Müßig zu erwähnen, dass der hier angeprangerte „Handel“ mit Nachwuchsspielern mittlerweile eine legitime, ja, sogar angesehene Praxis darstellt. So sieht sich etwa, vom FC Red Bull Salzburg (um nicht zu sagen: der Salzburger Niederlassung der Red Bull GmbH) abwärts, der Großteil der österreichischen Bundesliga-Klubs als „Ausbildungsverein“ – für reichere, in stärkeren Ligen (z. B. in der deutschen Bundesliga) engagierte Klubs.
Zwar würde es den strengen Trainer Alois und seinen Erfinder sicher freuen, dass die heutigen „Fußballakademien“ Wert auf eine zusätzliche Berufsausbildung legen – ob diese Institutionen jedoch darüber hinaus etwas mit Bruckners idealistischer Symbiose von Freude machendem „Sport“ und Geld schaffender „Arbeit“ zu tun haben, ist fraglich.
Schließlich scheint die von ihnen geförderte Doppelbelastung für die Jugendlichen nicht ganz unproblematisch. Der siebzehnjährige Rapid-Nachwuchsspieler Peter Z. etwa berichtet, er sei von seinem Zehn- bis Elf-Stunden-Tag zwischen Lehre und Training anfangs „urüberfordert“ gewesen. Für ein Privatleben, etwa eine Freundin, sei ohnehin „zu wenig Zeit“. Und so kenne er nur ein Ziel, das er diszipliniert verfolge: „So schnell wie möglich Profi werden.“ (Vgl. Andrea Sailer, passt! v. 02.03.2011).
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Die große Elf beginnt mit dem Zerfall der Spatzenelf. Der talentierte, aber zur Überheblichkeit neigende Mittelstürmer Franzl (erinnert ein bisschen an Marko Arnautović), zwei seiner Stürmerkollegen und der Verteidiger Vikerl wollen „Profi-Fußballer“ werden. Sie gehen auf das Angebot eines Spielervermittlers ein, verlassen ihre alten Freunde und wechseln gegen Ablösesummen zur Konkurrenz, wo sie „Prämien“ erhalten (so klein diese auch sein mögen: Franzl etwa will sich für sein erstes „Handgeld“ von zwanzig Schilling ein paar Kilo Kirschen kaufen oder ins Kino gehen).
Die übriggebliebenen Spatzen sind anfangs entmutigt. Erst, als es Kapitän Schurl und Stürmer Willi gelingt, den Spielervermittler Salamander, der ihnen auch noch den naiven Linksaußen Stöpserl abspenstig machen will, als „Dieb“, „Gauner“, ja, „Gangsterhäuptling“ zu überführen, ändert sich die Stimmung. Von da an zeichnet sich die Mannschaft durch die von Trainer Alois seit jeher geforderten Tugenden „Zusammenspiel“ und „Kampfgeist“ aus.
Den Schikanen der Vereinsführung zum Trotz (die Spieler müssen ihre Schuhe selbst flicken, die „unprofitable“ Jugendmannschaft soll aufgelöst werden etc.) wird im Semifinale des nicht näher bezeichneten „Cups“ die „Kicker-Elf“ nach 0:3-Rückstand 4:3 geschlagen. Und mit demselben Resultat endet auch das Finale gegen „Unitas“, Franzls neue Mannschaft. Dabei fällt das entscheidende Tor unter denkbar dramatischen Umständen: in den letzten Sekunden der Verlängerung, aus einem Konter, der unmittelbar auf einen gehaltenen Elfmeter folgt …
Bei der Siegesfeier in der Kabine findet dann auch der im Sportroman versteckte Wirtschaftskrimi ein Happy End. Willi und Schurl gelingt es, den intriganten Sektionschef Bartos zu entlarven: er hat sich an den Verkäufen von Franzl und Co. persönlich bereichert. Und der Präsident von Unitas, der den Siegern ein paar Spieler abkaufen will, wird vom Trainer kurzerhand aus der Kabine geworfen. „Bei uns wird jetzt reiner Tisch gemacht“, sagt Alois. „Wir wollen wieder ein richtiger Sportverein sein.“
Das Match Amateur- gegen Profi-Sport endet bei Bruckner also mit einem totalen Triumph jener, die „um die Ehre spielen“ – wobei anzunehmen ist, dass dies nicht nur heute, sondern bereits vor 60 Jahren etwas weltfremd erschien. In Wirklichkeit ging dieser Klassiker wohl auch schon in der Welt von gestern meistens anders aus …
Umso schöner aber, wenn dann doch einmal der Außenseiter gewinnt: „Und hell blinkt der Siegespokal, als der Obmann ruft:
,Es lebe die große Elf!´“
Karl Bruckner (1906 – 1982) österreichischer Schriftsteller. „Seine für Frieden und soziale Gerechtigkeit eintretenden Jugendbücher wurden in viele Sprachen übersetzt“ (AEIOU Österreich-Lexikon). Werke u. a.: Die Spatzenelf (1949, neu aufgelegt 2000, mittlerweile vergriffen), Die große Elf (1951, vergriffen), Sadako will leben (1961, 2004 neu aufgelegt). Österreichischer Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur 1956 und 1961.
Zitate und Abbildung aus:
Karl Bruckner: Die große Elf. Ein besinnlich-heiterer Fußballroman für Jugendliche bis zum Greisenalter. Mit 20 Text-Illustrationen von Adalbert Pilch. Wien: Buchgemeinschaft Jung-Donauland o. J.
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